AnalyseGegen Alltagsrassismus

Alltagsrassismus in der Corona-Krise. Einige Beobachtungen

By 5. May 2020

Das bundesweit in mehr als 30 Städten seit 2016 laufende Projekt „Aktive aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit“ (samo.fa) ist nahe bei den Menschen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte. Rassismus ist also stets ein Thema.

Aufgrund der Befürchtungen, dass mit gesellschaftlichen Krisen Rassismus stärker wird, wurden die lokalen Koordinator*innen von samo.fa gebeten, ihre aktuellen Beobachtungen mitzuteilen. Bisher – so das vorläufige Ergebnis- ist kein dramatischer Anstieg manifester rassistischer Angriffe dokumentiert, was möglicherweise auch mit dem shutdown und den damit verbundenen sozialen Abständen zu tun hat. Es besteht aber verbreitet – gestützt auf die vielen Kontakte, die zu den Menschen mit Einwanderungsgeschichte bestehen – der Eindruck, dass abwertende und feindliche Verhaltensweisen zunehmen. Dafür spricht auch, dass vor allem zu Beginn der Corona-Krise die Zahl der Hass-Mails in den Sozialen Medien  angestiegen ist. Die Aussage aus einer Stadt: Es könne kein Anstieg berichtete werden, es sei so schlimm wie immer, steht für sich selbst.

Die Angriffe, die beobachtet oder auch dokumentiert sind, sprechen allerdings eine deutliche Sprache: In Verbindung mit der Corona-Krise zielt rassistische Diskriminierung vor allem auch im Alltag darauf, Menschen, denen Fremdheit zugeschrieben wird, für Gefährdungen des deutschen „Wir“ verantwortlich zu machen. Es geht hier also um viel mehr als Vorurteile oder Unwissenheit: Rassismus rechtfertigt und betreibt Diskriminierung und Ausgrenzung. Dabei trifft – in ziemlich umfassenden Sinne – Alltagsrassismus jene Menschen, die man aufgrund den ihnen zugeschriebenen Merkmalen und Eigenschaften oder dem bloßen Augenschein mit der gesellschaftlichen Problemlage in Verbindung bringen kann oder will.

Nicht verwunderlich ist es also, dass zunächst vor allem Menschen, denen ein asiatischer Hintergrund zugeschrieben wird, betroffen sind. Diese Fälle scheinen sich zu häufen; da aber Alltagsrassismus oftmals, so verletzend und bedrohlich er ist, gewissermaßen „nebenbei“ geschieht, wird die Dunkelziffer erheblich sein. Ein vietnamesischer Mann, der mit Mundmaske in der U-Bahn fuhr, berichtet z.B., dass er als „Corona-Chinese“ beschimpft wurde; im Supermarkt wird einkaufenden Frauen nachgerufen: „Da! Corona kommt!“, eine Familie aus Vietnam wird gebeten, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken, usw.,usw.

Es sind vor allem verbale Übergriffe, die zugenommen haben, aber auch demonstrative räumliche Distanzierung. So berichtet der „Tagesspiegel“ (vom 18.4.2020) über die Erfahrungen einer deutschen Frau mit vietnamesischer Familienherkunft: „Zunächst fiel es ihr in der U-Bahn auf. Menschen, die sich nach dem Einsteigen zu ihr setzten oder direkt gegenüber, standen wieder auf, sobald sie bemerkten, wer da neben ihr war. Wechselten den Wagen, stellten sich zur Not ins Fahrradabteil, bloß, um ihr nicht zu nah sein müssen. Beim ersten Mal hielt sie das für Zufall. Nach dem fünften Mal nicht mehr.“  Aber auch sind  – so wird ebenfalls berichtet –z.B. Italiener*innen Anfeindungen ausgesetzt.

Nimmt man jene Beobachtungen hinzu, die „vor Ort“ vor Beginn der Corona-Krise gemacht wurden, nämlich eine wachsende Gleichgültigkeit geflüchteten Menschen gegenüber und ein Anstieg rassistischer Gewalt – vor allem auch gegenüber Mitbürger*innen muslimischen Glaubens – , dann ist zu befürchten, dass völkisch-rassistische Ressentiments gerade im langwierigen Corona-Exit-Prozess zunehmen, weil zu den fortbestehenden gesundheitlichen Risiken und den damit verbundenen Kontrollen  dann manifeste wirtschaftliche Notlagen und Belastungen der Sozialsysteme hinzutreten. Es wundert nicht, dass die AfD schon jetzt gegen die Aufnahme von Kindern aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Front macht.

Ein besonders widerwärtiger Fall rassistischer Verbalgewalt wird von samo.fa aus Hannover übermittelt: In der hannoverschen Südstadt wurden Briefe verteilt, die als Absender eine „Nationalsozialistische Offensive“ nannten und sich an Migranten mit der Ankündigung wandten, sie „zu beseitigen“. Die Polizei ermittelt und die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (vom 5.5.2020) zitiert einen Polizeisprecher: Im Text werde „massiv fremdenfeindlich gegen Ausländer gehetzt“.

Als Reaktion auf die rechtsterroristischen Morde in Hanau hatte die Bundesregierung einen Kabinettsausschuss „zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ gebildet. Der Bundesregierung sind die Entwicklungen der letzten Wochen bekannt. In seiner Positionierung zur „Corona-Krise“ vom 8. April hat der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen festgestellt: „Das Zurückdrängen von Rassismus, Menschenfeindlichkeit und völkischem Nationalismus bleibt auch – oder gerade – in dieser Krise eine zentrale Herausforderung“.

Der Kabinettsausschuss hat bisher noch nicht getagt. Auf Anfragen von Bundestagsabgeordneten ließ der Bundesinnenminister nach Darstellung des „Tagesspiegel“ vom 4.Mai 2020 wissen, die erste Sitzung des Kabinettsausschusses werde zeitnah stattfinden. wk

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