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Themenschwerpunkt Teilhabe

Mehr Mitbestimmung in der Stadt

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„Unser größter Gegner heißt Wahlbeteiligung“, sagt Lamine Conté vom Saarbrückener samo.fa-Partner Haus Afrika. Die Saarbrückener haben wochenlang Wahlkampf für den Integrationsbeirat der Stadt gemacht – mit Flyern, Youtube-Videos und vielen persönlichen Gesprächen. 13 Migrantenorganisationen haben sich für die neue Legislaturperiode auf der „internationalen Liste“ zusammengeschlossen. Wobei es „Legislatur“ – Gesetzgebung – nicht wirklich trifft, bedauert Conté, der sich schon lange im Gremium beteiligt. Mehr als Vorschläge an den Stadtrat kann der Rat nicht machen, den es in jeder Kommune zwecks politischer Beteiligung der nicht-deutschen Bürger*innen gibt und der in manchen Städten noch immer „Ausländerbeirat“ heißt. Gewählt wird alle vier Jahre, „in Saarbrücken auch leider nicht zum Kommunalwahltermin, obwohl wir versucht haben, die Stadt davon zu überzeugen“, sagt Lillian Petry, die sich mit Conté die samo.fa-Koordinationsstelle teilt. „Viele Menschen kriegen deshalb gar nicht mit, dass Wahlen sind – weil sie ja sowieso davon ausgehen, dass sie hier nicht wahlberechtigt sind ohne deutschen Pass.“

Mit ihrer „internationalen Liste“ ist das Saarbrückener Netzwerk am Sonntag mit sechs Sitzen in den Integrationsbeirat eingezogen. Neben ihnen ist ein weiterer migrantischer Kandidat im Rat, fünf Sitze halten die politischen Parteien der Stadt. Alle Migrantenorganisationen aus  dem Haus Afrika beteiligen sich an der „internationalen Liste“, dabei auch viele Menschen mit jüngerer Fluchtgeschichte, die bei Projektbeginn neu nach Saarbrücken gezogen sind. Der Gegner Wahlbeteiligung hat allerdings wirklich zugeschlagen: Von rund 30.000 Wahlberechtigten beteiligten sich nur 600 an der Wahl. „Obwohl wir sogar Wahlinformationen neu kopiert und an den Haustüren verteilt haben, nachdem wir mitbekommen haben, dass viele Menschen den Brief der Stadt gar nicht richtig wahrgenommen haben“, berichtet Petry. Alles ehrenamtlich und ohne irgendeine finanzielle Unterstützung durch die Kommune, „für Integrationsbeiräte ist das alles nicht vorgesehen.“ Dabei seien die Wahlberechtigten über dieses Gremium gar nicht aufgeklärt. „Man müsste sehr viel Öffentlichkeitsarbeit machen, damit mehr Menschen wählen gehen“, sagt Petry. „Jetzt haben wir natürlich ein Repräsentanzproblem.“

Und ein neues Thema für die politische Arbeit. „Das müssen wir unbedingt verändern“, sagt Petry. „Wir brauchen einen anderen Wahltermin und offizielle Unterstützung, um das Gremium und die Wahl bekannter zu machen: Das ist auch eine Voraussetzung für mehr Teilhabe.“

Lillian Petry wünscht sich „Teilhabe für alle“.

„Teilhabe für alle“ ist das zentrale Ziel des Saarbrücker Netzwerks: „Wir wollen unsere Stadt mitgestalten“, sagt Lamine Conté. „Die Themen und Vorschläge von Migrantinnen und Migranten fehlen in Saarbrücken an vielen Stellen.“ Trotz der großen Teilhabe-Defizite sieht er den Rat als Chance: „Wir kommen so mit der Stadtpolitik ins Gespräch über unsere Forderungen und Themen“, sagt Conté. „Ignorieren lassen wir uns nicht, wir haben durch dieses politische Engagement in der Institution trotzdem Möglichkeiten: Wir sprechen als gemeinsame Stimme und können damit ja auch an die Öffentlichkeit gehen.“ Als Zusammenschluss geht das besser, als über Einzelpersonen. „So vertreten wir Menschen kulturübergreifend und vertreten damit Interessen, die alle Migrantinnen und Migranten betreffen.“

Konkret fordert das Netzwerk zum Beispiel die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und aller Zweckbetriebe der Stadt, einen finanziellen Fonds für Förderung der Struktur von Migrantenorganisationen  – und auch das kommunale Wahlrecht für Zugewanderte. Das ist die weitreichendste Forderung, für die eine Gesetzesänderung im Bundesland erforderlich ist. „Aber Saarbrücken als Landeshauptstadt soll sich dafür stark machen, das werden wir einfordern“, sagen Petry und Conté. „Ein Integrationsbeirat ist keine wirkliche politische Teilhabe, weil Menschen ohne deutschen Pass nur vorschlagen, aber nicht entscheiden dürfen. Das ist ein Demokratiedefizit, zu dem wir laut etwas sagen.“

„Unser größter Gegner heißt Wahlbeteiligung“ –  Lamine Conté hat wochenlang Wahlkampf für den Integrationsbeirat in Saabrücken gemacht.

Weitere politische Themen der internationalen Liste sind: Ein „Welcome Center“, in dem Migrant*innen neu Angekommenen Erstorientierung anbieten, günstige Raumnutzung für interkulturelle Vereine und eine Verdoppelung der Zuschüsse für diese und die Integrationsprojekte des Integrationsbeirats. Auch sollen alle städtischen Veranstaltungen nur fair gehandelte Produkte verwenden. Das vollständige Wahlprogramm steht hier.

„Wir werden alle Chancen nutzen, die uns das Modell Integrationsbeirat zur Teilhabe bietet“, sagen die beiden Koordinator*innen. „Auch, wenn das Modell selbst große Schwächen hat.“

„Wir müssen dafür sorgen, dass Integrationsräte keine Alibi-Räte bleiben!“ – Interview mit Beatrix Butto

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Welche Erfahrungen haben Migrantenorganisationen mit Integrationsbeiräten gemacht: Sind sie ein zahnloser Tiger oder werden sie im Stadtrat ernst genommen und ermöglichen echte Teilhabe?

Beatrix Butto: Bei diesen Integrationsbeiräten – bezeichnet werden sie ja in jeder Kommune anderes – handelt es sich um beratende Gremien. In der Grundidee und in ihrer faktisch nicht vorhandenen Entscheidungsbefugnis unterscheiden sich diese Gremien nicht sonderlich viel, egal ob wir von Reutlingen, Saarbrücken, Stuttgart, Friedrichshafen oder einer anderen Stadt in Deutschland sprechen. Das Image und die Wirkung eines solchen Gremiums hängen in erster Linie von der Integrationspolitik der jeweiligen Kommune ab. Und das sieht man beispielsweise auch daran, wie diese Beiräte heute bezeichnet werden. In Stuttgart heißt dieses Gremium schon lange nicht mehr Ausländerbeirat und das verdanken wir einem sehr engagierten Stuttgarter Oberbürgermeister, Manfred Rommel, der in die Geschichte eingegangen ist mit dem Satz: „Wer in Stuttgart wohnt, ist ein Stuttgarter!“ Und dies geschah in einer Zeit, als in der Bundespolitik und in vielen Kommunen durch den Anwerbestopp von Gastarbeitern noch restriktive Maßnahmen gegen Migration ergriffen wurden. Integration ist mit der Gründung des bundesweit ersten „Ausländerbeirats“ 1972 quasi Chefsache gewesen und das wirkt sich noch bis in die heutige Zeit hinaus. Während in der ersten Generation noch fast jeder „Gastarbeiter“ am Fließband in Daimler schaffte, besetzen heute ihre Kinder und Enkelkinder nun die Stühle der Managementetagen. Die Wirtschaft hat viel schneller begriffen, dass man die Kompetenzen von Menschen mit Migrationsgeschichte und die Verbundenheit und Identifikation dieser Menschen mit der eigenen Stadt zu ihrem Vorteil nutzen kann. In den höheren Etagen der städtischen Verwaltung bildet sich diese Vielfalt noch nicht sonderlich ab, ein Punkt an dem noch einiges getan werden kann.

Offizielles Ziel ist es, die Interessen der Menschen ohne deutschen Pass in die Kommunalpolitik einzubringen. Trotzdem beteiligen sich viele erst gar nicht, weil die Gremien noch immer sehr unbekannt sind.

Beatrix Butto: Diese Gremien sind seit ihrer Entstehungszeit in den 70er Jahren nur beratend tätig. Aber tatsächlich waren sie eine Reaktion darauf, dass der Anteil an Menschen mit Migrationsgeschichte stetig wuchs und die Forderung laut wurde, sie an der Kommunalpolitik zu beteiligen. Dass sie beraten und nicht entscheiden, hat sich bis heute nicht geändert. Geändert haben sich in vielen Städten jedoch die Bedingungen für die Mitgliedschaft in diesem “Club”. Waren es früher noch Bürgerinnen und Bürger ohne deutschen Pass, Vertreter von Communities und Migrantenvereinen, die sich dafür beworben haben; werden heute Einzelpersonen berufen. Man bezeichnet sie oft als „sachkundige Bürgerinnen und Bürger“ – berufen werden kann neben einem Uni-Professor, der vielleicht Migrationsgeschichte unterrichtet, vielleicht auch eine Rentnerin, die im Freundeskreis Asyl mithilft bis hin zu jedem, der oder die nicht mal eine Migrationsgeschichte haben muss. Meistens sind es Persönlichkeiten aus dem Bereich Migration und Integration, die berufen werden, so dass beispielsweise Mitglieder von Migrantenorganisationen gar nicht mehr in Frage kommen.

Und da sehe ich ein Problem, denn wer gibt diesen „sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern“ die Legitimität, über verschiedene Aspekte der Migration und Integration zu reden?

Wie viel Sinn macht es, sich als samo.fa-Partner dort einzusetzen?

Partnerorganisationen dabei zu bestärken, sich wieder in diese „verstaubten“ Gremien einzubringen, macht sehr viel Sinn. In vielen dieser Gremien finden sich keine Vertreter von Migrantenorganisationen mehr. Viele unserer samo.fa-Partner haben dank des Projekts in der Kommune eine vorher nicht da gewesene Sichtbarkeit erfahren, so dass sie es eigentlich leichter haben könnten, in diese Strukturen reinzukommen. Sie können dort Themen einbringen, die sie durch ihren Bezug in den verschiedenen Communities kennen – und sachkundige Bürger ohne diesen Bezug eben nicht. Zum Beispiel, wo es Alltagsrassismus gibt oder dass kultursensible Beratung fehlt. Oder viele Geflüchtete keinen Kita-Platz finden und es Bedarfe an interkultureller Paarberatung gibt.

Was bedeutet diese Form der Teilhabe für Geflüchtete? Können ihre Interessen über Migrantenorganisationen vertreten werden?

Beatrix Butto: Für viele Geflüchtete selbst wird es, sobald ihr Deutsch besser wird, zunehmend interessant, in diversen Arbeitskreisen, Gremien oder Integrationsbeiräten mitzuwirken. Denn um in einer Gesellschaft anzukommen, braucht man nicht nur ein Dach über dem Kopf und einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz; man will mitgestalten, mitreden, sich engagieren. Es wenden sich viele Geflüchtete mit Fragen danach an Migrantenorganisationen, weil diese oft über jahrzehntelange Erfahrung verfügen und die richtigen Ansprechpartner kennen. Es ist für sie – und oft auch für uns – schwierig zu durchblicken, welche Gremien einer Kommune für sie interessant und relevant sind. Aber man muss auch sagen, dass speziell in Integrationsräten auch viele „alteingesessene“ Migrantenorganisationen nicht mehr so vertreten sind, wie es vor ein paar Jahren der Fall war. Deshalb gilt es, Geflüchtete selbst zu empowern, sich in dieser Hinsicht zu engagieren und Migrantenvereine zu aktivieren, um ihre Präsenz in diesen Gremien zu steigern. Es ist ja eben trotz der Mängel eine Möglichkeit, mit der Stadtpolitik ins Gespräch zu kommen.

Wie präsent ist Interessenvertretung von und durch Menschen mit Fluchtgeschichte überhaupt auf der kommunalpolitischen Ebene? Welche Rolle kann samo.fa spielen?

Beatrix Butto: Im Bereich der Flüchtlingspolitik gibt es viele Interessensvertretungen – zu viele. In den letzten vier Jahren sind Akteure und Organisationen, die die Interessen von Geflüchteten vertreten, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Natürlich war auf fast jeder Tagesordnung der Beiräte das Thema „Geflüchtete“ und alle Bereiche, die es betrifft, immer ganz oben. Es ging um Unterbringung, Deutschkurse, Ausbildung und so weiter. Also gab es dazu die jeweilig zuständigen Ämter. Geflüchtete selbst waren wenig bis gar nicht vertreten. Nun haben wir in vielen samo.fa Partnerstädten sehr motivierte Geflüchtete, die selbst schon Vereine gegründet haben und sich auch politisch sehr engagieren. Unterstützt von Flüchtlingsräten und Migrantenorganisationen rufen sie zu Demonstrationen auf, beispielsweise wenn es um die furchtbaren Ereignisse in Ellwangen geht und wie dort mit Geflüchteten während eines polizeilichen Großeinsatzes umgegangen wurde.

Haus Afrika fordert im Wahlprogramm auch das kommunale Wahlrecht für alle Migrant*innen – also endlich Entscheidungen zu treffen, statt nur zu beraten.

Beatrix Butto: Ja, das ist gerade das heiß diskutierte Thema. Und obwohl jedes Mal, wenn in einer Kommune Wahlen anstehen oder gerade jetzt vor den Wahlen zum europäischen Parlament, sehr viel darüber diskutiert und debattiert wird, wie man Bürger ohne deutschen oder einem anderen EU-Pass die Mitsprache am gesellschaftlichen Leben ermöglichen kann, passiert in der Praxis gar nichts. Seit einigen Jahren führen Migrantenorganisationen für diese Personengruppe ohne Wahlrecht eine Art Ersatzwahlen durch, um aufzuzeigen wie hoch der Anteil an Personen ist, die von diesem Recht nicht Gebrauch machen dürfen und wie die Wahltendenz aussieht. Wenn man sich überlegt, dass es in Deutschland Städte gibt, wo der Anteil an Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, bereits den 50%-Anteil überschreitet wie beispielsweise in Heilbronn, ist es erschreckend, dass ein Großteil dieser Personen nicht die kommunale Politik mitbestimmen dürfen.

Das Modell Integrationsrat oder Integrationsbeirat gilt ja sogar als Reformansatz im Vergleich zum „Ausländerbeirat“. Was sagt das über die Teilhabechancen von Migrantinnen und Migranten aus?

Beatrix Butto: Dass sie überhaupt nicht ausreichend vorhanden sind. Ob Integrationsrat oder Integrationsbeirat – all diese Begriffe beinhalten schon im Namen das Wort „Rat“ – es sind beratende Organe. Ich denke man muss –  je nach Voraussetzungen und der Integrationspolitik in einer Kommune – Gremien und Strukturen schaffen, die mehr Entscheidungsbefugnisse haben. Abgesehen davon, dass sie in der Besetzung auch vielfältig sein sollen mit Vertreterinnen und Vertretern von Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, der Kommune und der Wirtschaft. Dass sie nicht nur die Gemeinderäte beraten, sondern auch mit entscheiden. Dafür braucht es starke Migrantenorganisationen, die politisch aktiv sind, die sich in Dachverbänden organisieren, um überparteilich, säkular und umfassend Interessen von Migrant*innen verschiedenster Herkunft zu vertreten. Ich denke, dass solchen Dachverbänden mehr Mitsprache- und Entscheidungsbefugnis gegeben werden soll, denn sie vertreten die Personen, um die es doch geht, wenn man von gesellschaftlicher Teilhabe von Migrantinnen und Migranten spricht. Diese Verbände sollten wieder in Integrationsbeiräten vertreten sein, denn die Anzahl und die Vielfalt ihrer Mitglieder geben ihnen bei weitem mehr Legitimität über Migrantinnen und Migranten zu sprechen als einzeln berufene „sachkundigen Bürger“.

Sind die Räte überhaupt noch zeitgemäß?

Beatrix Butto: Auch wenn sie zurzeit nicht sonderlich einflussreich sind, lautet die Antwort ja. Denn solange für viele Menschen mit einer so genannten Migrationsgeschichte – und warum ist man eigentlich in der dritten Generation noch Migrant?! –  Chancengleichheit nicht gegeben ist, noch sehr viel struktureller Rassismus herrscht und diese Menschen nicht auf Chef- und Entscheidungsposten sitzen, so lange muss es noch „spezielle“ Räte geben, die die Interessen dieser Menschen vertreten. Wir müssen jedoch dafür sorgen, dass diese Räte keine „Alibi“ oder „Quoten-Räte“ bleiben nach dem Motto „die Interessen von Migrantinnen und Migranten sind doch vertreten“, sondern dass sie einen spürbaren, realen Einfluss auf die kommunale Politik haben. Ich hoffe sehr, dass es unseren samo.fa-Partnern in verschiedenen Städten gelingt, in diese Räte gewählt zu werden!

Beatrix Butto ist samo.fa-Netzwerkbegleiterin für die Region Süd und arbeitet beim Forum der Kulturen in Stuttgart.

Angekommen? Teilhaben jetzt!

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In vielen Städten laufen gerade die Wahlen zu den Integrationsbeiräten – die einzige politische Wahlmöglichkeit für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass. Auch einige samo.fa-Partner wollen sich in 2019 beteiligen – um die Themen und Perspektiven von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in die lokale Politik einzubringen. Die Teilhabe-Möglichkeiten des Gremiums sehen sie aber kritisch: Entscheiden dürfen die Vertreter*innen nicht, sie machen nur Vorschläge an die Stadtpolitik.

Für das bundesweite Projekt samo.fa (Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit) ist die Teilhabe von Menschen mit Fluchtgeschichte in 2019 ein zentrales Thema: Um Teil der Stadtgesellschaft zu sein, brauchen diejenigen, die nun schon seit ein paar Jahren in Deutschland leben, Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens: „Es geht in 2019 nicht mehr darum, die Menschen mit Fluchtgeschichte ,rund um die Uhr‘ zu betreuen, sondern sie auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit zu unterstützen und sie in ihren Rechten gegenüber dem Regelsystem zu stärken“, sagt Wilfried Kruse aus der samo.fa-Projektleitung. „Regelsysteme wie zum Beispiel Schule, gesundheitliche Versorgung, Leistungen des Jugendamtes oder der Arbeitsvermittlung sind für alle Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands gedacht, entsprechend müssen Menschen mit Fluchtgeschichte an ihnen teilhaben können.“ Dieser Integrationsgrad ist noch nicht erreicht.

Um diese Rechte auf die Agenda der Rathäuser zu bekommen, haben sich 2019 einige der bundesweit 32 samo.fa-Partner entschieden, für die Integrationsbeiräte zu kandidieren. Diese Räte sind für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass die einzige Möglichkeit, in Deutschland überhaupt an politischen Wahlen teilzunehmen. Allerdings: Die Integrationsbeiräte, die in manchen Städten noch „Ausländerbeiräte“ heißen, machen lediglich Vorschläge, über die dann der von den deutschen Bürger*innen gewählte Stadtrat diskutiert und entscheidet.


Zur Geschichte der Integrationsbeiräte.

„Ein Integrationsbeirat ist deshalb auch keine wirkliche politische Teilhabe, weil Menschen ohne deutschen Pass nur vorschlagen und nicht entscheiden dürfen“, kritisieren auch Lamine Conté und Lillian Petry vom samo.fa Partner Haus Afrika in Saarbrücken. „Das ist ein Demokratiedefizit, zu dem wir in und durch das Gremium laut etwas sagen.“ Im Wahlprogramm der „internationalen Liste“, mit der das lokale Netzwerk aus 13 Migrantenorganisationen angetreten ist, wird deshalb einem Welcome-Zentrum mit Erstberatung für neue Migrant*innen durch Migrant*innen und einem Förderfonds für Migrantenorganisationen, auch das Kommunalwahlrecht für nicht-deutsche Bürger*innen gefordert.

Trotz der großen Teilhabe-Defizite sehen sie den Rat als Chance: „Wir kommen so mit der Stadtpolitik ins Gespräch über unsere Forderungen und Themen“, sagt Conté. „Ignorieren lassen wir uns nicht“, erklären die samo.fa-Koordinator*innen. „Wir haben durch dieses politische Engagement in der Institution Möglichkeiten: Wir sprechen als gemeinsame Stimme und können damit ja auch an die Öffentlichkeit gehen.“  Mehr dazu im Beitrag hier.

Mit sechs Sitzen ist die internationale List seit Sonntag (7. April 2019) nun im Saarbrücker Integrationsbeirat vertreten – dabei sind auch Menschen mit jüngerer Fluchtgeschichte, die über das samo.fa-Projekt zu Haus Afrika gekommen sind.

Auch Beatrix Butto, die im bundesweiten samo.fa-Netzwerk die süddeutschen Städte begleitet, findet es wichtig, die Beiräte trotz der Teilhabe-Defizite für die Themen der samo.fa-Aktiven zu nutzen: „Es ist ja trotzdem eine Möglichkeit, mit der Stadtpolitik ins Gespräch zu kommen“, sagt Butto. „Die Aktiven aus Migrantenorganisationen – zu denen zunehmend auch Menschen gehören, die 2015 und 2016 nach Deutschland geflüchtet sind – kennen vor allem die Bedürfnisse und die soziale Situation von Migrantinnen und Migranten vor Ort“, sagt die Netzwerkbegleiterin. Und zwar besser als die Expert*innen ohne eigene Migrationsgeschichte, die je nach Modell der Kommune ebenfalls in die Räte berufen werden. „Die samo.fa-Aktiven  können dort Themen einbringen, die sie durch ihren Bezug in die verschiedenen Communities kennen – und sachkundige Bürger ohne diesen Bezug eben nicht“, sagt Beatrix Butto. „Zum Beispiel, wo es in der Stadt Alltags- und strukturellen Rassismus gibt und dass viele Geflüchtete keinen Kita-Platz finden oder kultursensible Beratung fehlt.“ Mehr dazu im Interview.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, Themen auf die kommunale Agenda zu setzen. Der samo.fa-Partner aus Hannover, das MiSO-Netzwerk Hannover, richtete sich zum Beispiel kürzlich mit einer Petition direkt an die Stadt und Region Hannover. Die verschiedenen Räte bleiben praktisch aber die einzige institutionelle Form der Teilhabe für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass, deswegen fordern Migrantenorganisationen schon lange ein kommunales Wahlrecht für alle Bürger*innen.


Auch das Motto der lokalen samo.fa Konferenzen steht für mehr Teilhabe – Auf den Veranstaltungen sollen Menschen mit Fluchtgeschichte und Migrantenorganisationen mit Akteur*innen aus Stadt und Gesellschaft in den Dialog treten, um über Teilhabe in allen Lebensbereichen zu sprechen.

Partner vor Ort    III