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Nicht überall willkommen: Rassismus erschwert Geflüchteten das Ankommen

By 12. March 2019

„Geh doch zurück nach Syrien“, „die Wohnung ist nicht mehr frei“, „empfohlene Schulform: Sonderschule“: In 2019 – dem vierten Projektjahr von samo.fa – werden Rassismus und Diskriminierung  für Geflüchtete zunehmend zum Hindernis im Alltag. Denn: Diejenigen, die seit vier Jahren in Deutschland leben, treten jetzt in den Arbeitsmarkt ein, suchen eigene Wohnungen, bauen ein gesellschaftliches Leben auf. Sie haben sich also intensiv um Integration bemüht – und erfahren dabei auch Ausgrenzung und Rassismus, zeigen die Erfahrungen der Projektpartner vor Ort.   Das Thema ist deshalb für die 32 Standorte im Projekt drängend, denn es verlangsamt das tatsächliche Ankommen in Deutschland für die Menschen, die jetzt im vierten Jahr im Land leben und teilhaben wollen.


Angekommen? Teilhaben jetzt ist das samo.fa-Motto für 2019.

Die erste Phase des Ankommens ist dabei für die meisten Geflüchteten abgeschlossen: Der Asylantrag, das Deutschlernen, die erste Orientierung nach Flucht, Verfolgung und Krieg – die unmittelbare Hilfsbedürftigkeit, auf die auch die Mehrheitsgesellschaft zunächst mit einer „Willkommenskultur“ reagiert hat: Mit Sachspenden, Schildern am Bahnhof, Unterstützung in Sammelunterkünften. „Damit schließen die Menschen, die jetzt seit vier Jahren hier wohnen, aber jetzt ab: Sie brauchen eine andere Art Unterstützung“, sagt Lillian Petry, lokale samo.fa-Koordinatorin in Saarbrücken. Statt um erste Hilfen geht es 2019  um Stärkung zur Teilhabe, um genaue Informationen zu Berufen und Ausbildung – und auch zum Umgang mit Rassismus und Diskriminierung. Auch bei diesem Thema arbeitet das samo.fa-Projekt mit besonderer Expertise und besonderer Haltung. Denn: Die Ehrenamtlichen und auch die Migrantenorganisationen, in die sie eingebunden sind und in die sie Geflüchtete einbinden, haben selbst Erfahrungen im Ankommen und mit Diskriminierungen und sich entsprechend zum Thema sensibilisiert und professionalisiert. Bei der Arbeit mit Geflüchteten wird eine solche Unterstützung gerade jetzt besonders wichtig: Sie treten jetzt in einen Alltag ein, in dem sie sich oft allein behaupten müssen. „Jetzt begegnen sie den Diskriminierungen und Ausschlüssen, die viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland ihr Leben lang kennen“, sagt Lillian Petry vom samo.fa-Partner Haus Afrika in Saarbrücken.

Tatsächlich ging es 2016 bei der Arbeit vor Ort vor allem um Begleitung und Übersetzung bei Behörden und darum, die ersten Schritte in Deutschland zu bewältigen.  Heute geht es darum, Arbeit zu finden, die als Übergang gedachten Sammelunterkünfte hinter sich zu lassen, den Kindern Schulerfolg zu ermöglichen – und wirklich an der Gesellschaft vor Ort teilzuhaben. Aber: Gerade jetzt hemmt Rassismus.


Weitere Hürden und Arbeitsfelder im samo.fa-Projekt 2019 im monatlichen Themenschwerpunkt.

Viele suchten Fehler bei sich, wenn sie keine Wohnung und keine Arbeit finden oder im Alltag angefeindet werden. Sie zögen sich zurück, sagt Lillian Petry – ein Rückschritt beim Ankommen im neuen Alltag. „Es ist ja wichtig, mit den Kindern ins Schwimmbad zu gehen“, gibt Lillian Petry Beispiele. Und Wohnungen und Arbeit zu finden –  und zwar nicht am Rande der Gesellschaft.

In den Projekten vor Ort bestärken die Koordinator*innen Ehrenamtliche und Geflüchtete beim Umgang mit Rassismuserfahrungen wie körperlicher Gewalt, Beleidigungen, aber auch Ablehnungen in Behördenstrukturen wie zum Beispiel Schulen, Jobcenter oder auf der Arbeitsstelle (hier eine gängige Definition verschiedener Formen von Rassismus).

Sie haben  in Deutschland oft selbst gemacht und werden durch die besondere Struktur des samo.fa-Projekts mit dem Träger Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen fachkundig unterstützt: Sie stärken durch zugewandte Beratung, das Teilen der Erfahrungen und nicht zuletzt einer gemeinsamen Stimme gegenüber Politik und Zivilgesellschaft, die durch sie auf die Probleme aufmerksam gemacht werden: Für mehr Teilhabe und weniger Vorurteile.

Rassismuserfahrungen können vor Ort so aussehen wie im mecklenburg-vorpommerschen Stralsund: „Frauen mit Kopftuch werden bespuckt und in Restaurants nicht bedient, das ist hier ein Teil der  Normalität“, erzählen die lokalen Koordinatorinnen aus Stralsund, wo Sammelunterkünfte auch auf wenig angebundenen Inseln in der Ostsee sind. Das begrenzt den persönlichen Kontakt, der Vorurteile ändern könnte. Von solchem Alltagsrassismus hören auch die Koordinator*innen aus Saarbrücken von ihren Ehrenamtlichen: „Leute gehen im Schwimmbad weg, wenn wir mit unserer Kindergruppe aus vielen Flüchtlingskindern kommen.“

Neben  Alltagsrassismus begegnet Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte struktureller Rassismus: Im Interview erzählt Mustafa Birhimeoglu, wie wenig vorbereitet Lehrer*innen auf Schüler*innen mit Fluchterfahrung sind: Im vierten Jahr ist die Lösung sozialen Schwierigkeiten beim Ankommen im Schulalltag oder noch fehlender Rechtschreibkompetenz  in einem dreigliedrigen Schulsystem vielfach die Sonderschule. Die Selektion nach der Grundschule benachteiligt dabei  sowieso nachweislich strukturell Kinder mit Migrationsbiografie – auch einer vermeintlichen, die ihnen aufgrund von Nachnamen oder Hautfarbe zugeschrieben wird. Geflüchtete Kindern und Jugendlichen benachteiligt ihr noch nicht abgeschlossener Ankommensprozess noch zusätzlich.  Das viel diskutierte Schlagwort „Inklusion“ bleibt für sie damit das Gegenteil von Teilhabe – aufgrund ihrer Herkunft.

Viele samo.fa Projekte machen auch im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus im März auf die vielen Dimensionen des Themas und ihre Arbeit dazu aufmerksam – von Podiumsdiskussionen, über Empowermentveranstaltung bis zur Demonstration.

Zahlen & Fakten

6.434 Angriffe auf Migrant*innen im Jahr dokumentiert die aktuellste Statistik des Bundesinnenministeriums, das Bundeskriminalamt zählt 2.215 Straftaten gegen Geflüchtete: Die Übersicht des Mediendienst Integration hat diese und noch mehr Zahlen unter dem Schlagwort „Desintegration“ zusammengetragen.

Weitere Beiträge

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Interview über Ausschlüsse im Bildungssystem in Bochum.

 

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