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Corona- Aufklärungskampagne aus der Mitte von Migrant*innenorganisationen Fachtag II „Flucht, Behinderung, Corona: Gesundheitsversorgung in schwierigen Zeiten“

By 28. September 2021

Am 23. September 2021 setzte der Bundesverband mit einem zweiten Fachtag seine Aufklärungskampagne zur Gesundheitsversorgung von Geflüchteten fort. Dabei lag der Fokus auf der Selbsthilfe besonders vulnerabler Gruppen, wie schwangeren Geflüchteten oder Geflüchtete mit Behinderung.

Der Fachtag, der in Kooperation mit PARITÄTISCHE Projekte gGmbH stattfand, beleuchtete Möglichkeiten der Selbsthilfe für die Betroffenen und Ihrer Angehörigen sowie um die Rolle von Migrant*innenorganisationen bei der nachhaltigen Etablierung entsprechender Angebote. Dabei wirft die Pandemie zusätzliche Aspekte und Fragen auf: Wie ist die Situation für Schwangere mit Fluchtgeschichte? Wie wirkt sich die Pandemie auf Geflüchtete mit Behinderung und ihre Angehörigen aus? Wie kann das Empowerment dieser vulnerablen Gruppen unter den aktuellen Corona-Bedingungen gelingen? Auch die Frage nach dem Umgang mit schweren Erkrankungen in Corona-Zeiten stellt sich aktuell besonders eindringlich.

Antworten auf diese und viele weitere Fragen gaben Prof. Dr. Babette Müller-Rockstroh, Medizinethnologin und Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule Fulda, Merve Mutluhan, Sozialberaterin bei MINA-Leben in Vielfalt e.V. und Ayşe Şen-Mathussek, ehrenamtliche Seelsorgerin bei Muse e.V. Prof. Müller-Rockstroh, selbst Hebamme und Medizinethnologin, betonte in ihrem Vortrag die große Bedeutung migrantischer Organisationen für Gesundheit schwangerer Frauen. Sie hob dabei besonders die Wichtigkeit sprachlicher Verständigung und kultursensiblen Wissens hervor und berichtete über befürchtete Stigmatisierung oder entsprechende Erfahrungen auf Seiten der Schwangeren mit Fluchterfahrung. Merve Mutluhan macht mit ihrer Organisation seit einigen Jahren Angebote für Geflüchtete mit Behinderung: „Unser Team ist mehrsprachig einschließlich Gebärdensprache. Kultursensibler Umgang mit den Menschen ist eine Voraussetzung dafür, dass sich Selbstvertrauen aufbaut und Empowerment in Gang gesetzt werden kann.“

Das bestätigt auch Ayşe Şen-Mathussek, die als eine von 23 ehrenamtlichen, muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern seit 2008 Menschen in Wiesbadener Moscheen, aber auch in Krankenhäusern, Hospizen, Alten- und Pflegeheimen begleitet. Sie weiß über die Rolle ehrenamtlich Aktiver: „Die psychische Belastung im Umgang mit schwierigen Themen und in der Seelsorge ist sehr hoch. Wir brauchen also viele Aktive, um die Belastung gut verteilen zu können.“ Beide betonen daher die besondere Bedeutung lokaler Vernetzung und Unterstützung durch die Kommunen. In den anschließenden Podiumsdiskussionen wurden die Themen vertieft. Zusammenfassend ließ sich ein Fazit ziehen: Selbsthilfe- und Unterstützungsangebote im Kontext Gesundheit erfordern ein hohes Maß an Vertrauen. Damit dieses sich entwickeln kann, ist eine kultursensible Herangehensweise unabdingbar. Ebenso unabdingbar ist auch hier das ehrenamtliche Engagement, das aber Hand in Hand mit hauptamtlichen Strukturen gehen und durch Supervisionen entlastet werden muss. All dies sind Eigenschaften und Kompetenzen, die migrantische Organisationen mitbringen und sie zu unabdingbaren Partner*innen in der lokalen Gesundheitsversorgung machen, vor allem wenn es darum geht, Angebote nachhaltig und zielgruppengerecht zu gestalten.

Und wie geht’s weiter?
Im Rahmen der Gesundheitskampagne finden derzeit an vielen samofa-Standorten mehrsprachige Infoveranstaltungen mit Ärzt*innen und medizinischem Personal mit Migrations-und Fluchtgeschichte für Geflüchtete statt. Die lokalen samofa-Koordinator*innen und ihre bewährten Netzwerke der ehrenamtlich Aktiven werden zudem durch ihre Kontakte in Geflüchtetencommunities problematische Entwicklungen im Zusammenhang mit der Pandemie aufnehmen und diese in die lokal-kommunalen Netzwerke weitertragen. Die Aktiven werden für ihren Einsatz im Kontext gesundheitlicher Vorsorgemaßnahmen besonders qualifiziert werden, eine Reihe weiterer Fachtage (der nächste ist am 5. Oktober von 10.00 – 13.30 Uhr) sollen den inspirierenden Wissenstransfer zwischen den Expert*innen aus der Praxis und aus Medizin und Forschung weiter fördern. Dieser 3. Fachtag wird sich mit den psychischen (Langzeit-) Folgen von Flucht und Migration unter dem Einfluss der Pandemie beschäftigen.

Wir haben den Vorsitzenden des Bundesverbandes, Dr. Ümit Koşan, gefragt, welches Ergebnis er sich am Ende der Aufklärungskampagne wünscht:„Migrant*innenorganisationen sind wesentlicher Teil der Lösung, wenn es darum geht, eine gerechte und empathische Stadtgesellschaft zu erreichen, deren (Präventions-)Angebote allen in gleicher Weise zugänglich sind.“

Der 2. Fachtag fand am 23. September 2021 digital statt.
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