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Corona: Menschen mit Fluchtgeschichte in besonderen Risikolagen

By 13. April 2020

13.April 2020. Aktuelle Berichte aus den samo.fa-Standorten geben wichtige Hinweise auf Problemlagen, die gesundheitliche und soziale Risiken bedeuten oder in der Folge werden können. Es sind insbesondere folgende Problemlagen, auf die aufmerksam gemacht wird:

  • Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen, sogenannten ANKER-Zentren und Gemeinschaftsunterkünften sind aufgrund der Enge der Wohnverhältnisse und der gemeinschaftlichen Nutzung von Toiletten, Waschräumen und Küchen in besonderer Weise von Ansteckung bedroht. Zum Teil fehlt es auch an einfachen hygienischen Vorkehrungen. Ausgangs- und Kontakteinschränkungen und insbesondere Quarantäne-Maßnahmen und deren Überwachung führen rasch zu kollektiver Unruhe und Panik. Ehrenamtlich Aktiven wird oftmals der Zugang verweigert; sie müssen die Kontakte zu den von ihnen Betreuten auf andere Weise neu aufbauen.

  • Demgegenüber sind Menschen mit Fluchtgeschichte, die zwischenzeitlich in Wohnungen gezogen sind oder aktuell dorthin oder in Hotels eingewiesen werden, in der Regel gegen Ansteckung besser geschützt. Ihre Isolierung schneidet sie aber von bisherigen Informationswegen ab; es ist wesentlich schwieriger, sie zu erreichen und mit ihnen Kontakt zu halten.

  • Eine schwache Beherrschung der deutschen Sprache macht es gerade in der Corona-Krise schwierig, Kontakte zu halten und Erkundigungen einzuholen, weil diese vor allem telefonisch oder per Mail erfolgen müssen. Sich verständlich zu machen, ist z.B. bei Telefongesprächen wesentlich schwieriger als in der persönlichen Begegnung. – In den Gemeinschaftsunterkünften fehlt es oft an einer ausreichenden Ausstattung mit Laptops; Menschen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte besitzen selten eigene Laptops.

  • Wichtige Kontakte mit Behörden, der Agentur für Arbeit, der Bank und mit Beratungsstellen erfordern zumeist Anrufe oder E-Mail-Sendungen. Neben den Verständigungsproblemen führt der Umstand, dass diese Einrichtungen im Corona-Modus arbeiten und oftmals überlastet sind, zu besetzten Leitungen und langen Zeiten in der Warteschleife. Das verunsichert und macht auch Angst, bestimmte für die Lebensorganisation wichtige Angelegenheiten nicht oder nicht termingerecht erledigen zu können.

  • Die finanzielle Situation ist in vielen Familien mit Fluchtgeschichte angespannt; dies verschärft sich bei fortdauerndem SGB-II-Bezug oder Kurzarbeit. Es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass viele finanziell auch noch ihre Verwandten im Herkunftsland unterstützen.

  • Es gibt Hinweise, dass „häusliche Gewalt“, die sich gegen Frauen und Kinder richtet, zunimmt. So unentschuldbar und nicht hinnehmbar sie ist, muss doch gesehen werden, dass sie insbesondere die Folge engen Zusammenlebens über längere Zeit, aber auch der wachsenden existentiellen Sorgen ist. Die Frauenhäuser sind voll und die üblichen Beratungseinrichtungen aufgrund der Reduzierung oder Streichung von persönlichen Sprechzeiten sehr viel schwieriger zu erreichen. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass Frauen mit Fluchtgeschichte, die noch nicht lange in Deutschland leben, (noch) eine größere Ferne zu Behörden und Sozialeinrichtungen insgesamt haben; es ist aber auch die Frage, ob und wie Einrichtungen der Notfallhilfe interkulturell aufgestellt sind.

  • Mit Schließung der Schulen sind die Eltern aufgefordert, ihre Kinder beim Lernen im Fernlern-Modus zu unterstützen. Für viele Eltern ohne und vor allem auch mit Fluchtgeschichte ist dies eine Überforderung, vor allem, wenn dieser Zustand noch länger andauert, und vor allem in Bezug auf jüngere Kinder, die ihre Fähigkeiten zum Selbstlernen erst noch ausbilden müssen. Neben dem Umstand, dass das häusliche Lernen von Kindern unter beengten Verhältnissen konflikthaltig ist, werden in der Folge Nachteile für die Bildungswege dieser Kinder befürchtet.

Diese Problemlagen stellen auch für Aktiven aus Migrantenorganisationen, die sich seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagieren, schwierige Herausforderungen dar. Mit Beispielen, die auf dieser samo.fa-Homepage fortlaufend vorgestellt werden, wird dokumentiert, wie die Aktiven vor Ort differenziert, fantasiereich und energisch auf die außerordentliche Krisensituation reagieren.

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