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Zur Lage von Menschen mit Fluchtgeschichte Anfang 2020. Eine Zusammenschau aus den Standorten von samo.fa

By 5. April 2020

Anfang 2020: ein zwiespältiges Bild

An vielen Standorten ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Lage von Menschen mit Fluchtgeschichte als ein wichtiges öffentliches Thema wachzuhalten und sie zugleich ganz konkret zu unterstützen. Die Arbeitsschwerpunkte von samo.fa im Laufe der vergangenen Jahre markieren die veränderten Herausforderungen auf dem langen Weg der Geflüchteten in ihren neuen Alltag.

So ist das Bild Anfang 2020 zweigeteilt: Ein erheblicher Teil derjenigen, die 2015/2016 gekommen und geblieben sind, hat sich eingelebt und eine Basis für das Alltagsleben gefunden. Das heißt aber nicht, dass alle Probleme gelöst wären und der lange Schatten von Flucht- und Fluchterfahrungen überwunden ist. Zur Normalisierung gehört auch, dass an vielen Standorten Geflüchtete selbst Vereine gründen; das wird von samo.fa unterstützt.

Ein anderer Teil der Menschen mit Fluchtgeschichte allerdings befindet sich nach wie vor in einer sehr schwierigen Lage, die mit vielfältigen sozialen Risiken verbunden ist. Samo.faplus wird 2020 und 2021 genau hier einen seiner Schwerpunkte haben.

Allmählich aus der Aufmerksamkeit gefallen

Schon vor der Corona-Krise ist die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der Lage der Menschen mit Fluchtgeschichte und auch die Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft zurückgegangen. „Die Zeit der aktiven Unterstützung ist vorbei“, wird zum Teil berichtet. Es ist zum Teil schwieriger geworden, das Engagement von Ehrenamtlichen aufrechtzuerhalten oder neue Aktive zu gewinnen oder auch Migrant*innen-Vereine zu motivieren, sich weiterhin besonders für Geflüchtete zu öffnen. Kommunen haben Mittel für die Flüchtlingsarbeit reduziert oder sind dabei, Geflüchtete nicht mehr als besondere Zielgruppe zu behandeln (was durchaus auch dem Wunsch jenes Teils der Geflüchteten entspricht, die sich selbst als „angekommen“ einschätzen).

Rassismus

Aus allen Standorten wird darauf hingewiesen, dass mit dem langsamen Ermüden des Engagements für die Geflüchteten „Platz“ gemacht wird für einen stärker werdenden alltäglichen Rassismus, der durch den völkischen Rechtspopulismus angetrieben wird. Der Terroranschlag in Hanau im Februar 2020 hat in den Communities als ein Schock gewirkt, der Angst, Verunsicherung, aber auch Wut ausgelöst hat. „Rassismus wird zur größten Herausforderung“, heißt es in manchen Berichten.

Viele Menschen leben noch in Erstaufnahme- oder Übergangseinrichtungen

Aus vielen Städten wird berichtet, dass noch viele Menschen in Erstaufnahme- und Übergangseinrichtungen oder in Containern leben; im Dezember 2019 z.B. in Stuttgart immerhin ca. 5865. Es zeigt sich, dass sich in diesen Gemeinschafts- und Notunterkünften vor allem die besonders Benachteiligten konzentrieren, während z.B. jüngere alleinstehende Mobile eher ausziehen und z.B. Zimmer in Wohngemeinschaften finden. Ein Hinweis auf diese Situation ist auch die hohe Zahl von sogenannten Fehlbelegungen, also von Menschen, die weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben, obwohl sie anerkannt sind und ausziehen könnten. Das sind in Nürnberg im Januar 2020 immerhin 1375 Menschen; im Landkreis Fulda ist von den 1.174 Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften (Landkreis Fulda); etwa ein Drittel anerkannt und wohnungssuchend. Ein Grund ist der in Städten besonders angespannte Wohnungsmarkt.

Und jetzt: Corona

Ein Blick auf die Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Freiburg (Breisgau): Sie ist mit 177 Personen dicht belegt, die bis zum 20. April unter Präventions-Quarantäne gestellt sind. Die Bewohner dürfen nur einzeln die LEA zum Einkaufen verlassen; ihr Budget reicht aber für tägliche Einkäufe nicht aus. 80 von derzeit 177 Geflüchtete aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg sind mittlerweile in die Jugendherberge Freiburg International verlegt worden, um die Virus-Verbreitungsgefahr im Lager zu verringern. – Von allen Standorten wird mittlerweile über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Lage der Menschen von Fluchtgeschichte und die Arbeit mit ihnen berichtet (hierzu folgt auf dieser Homepage eine gesonderte Berichterstattung).

Unsicherer Aufenthaltsstatus

Während viele derjenigen, die zuerst gekommen und geblieben sind, ihre Anerkennung erhalten haben, gilt dies nicht in gleicher Weise für die später Eingetroffenen. Durch die zwischenzeitliche Verschärfung des Asylrechts kommt es z.B. zu einer wiederholten Verlängerung der Duldung oder sie stecken in der „Dublin-Falle“, weil sie über ein anderes EU-Land eingereist sind. Unsicherheit und ständige Angst vor Abschiebungen begleitet diese Menschen. Aus einer Reihe von Standorten wird berichtet, dass die Zahl der erfolgten Abschiebungen zugenommen habe.

Schule und Arbeitsmarkt

Hinweise aus einigen Städten legen dringend nahe, erneut einen kritischen Blick auf die Frage zu richten, ob und wie die Kinder aus Familien mit Fluchtgeschichte Zugang zu KiTa’s und zum Schulsystem finden. Es ist zu befürchten, dass ein Teil von ihnen schulisch „abgehängt“ bleibt und damit die große Minderheit von jungen Leuten vergrößern, die mit Mängeln bei der formalen Bildung in das Erwachsenenleben starten. Diese Problematik wird durch die Schulschließungen in der Corona-Krise besonders akzentuiert: Nach Einschätzung des Berliner Sozial- und Bildungsforschers Klaus Hurrelmann verfügen nur ca. 15 Prozent aller Schulen über gute digitale Programme; Einrichtungen in sozialen Brennpunkten gehören in der Regel nicht dazu. Dadurch seien Kinder aus bildungsfernen Schichten oder aus Flüchtlingsfamilien besonders gefährdet. Die meisten Flüchtlingskinder verfügten nicht über digitale Arbeitsmöglichkeiten wie Laptops.“ –

Viele Menschen, die 2015/2016 gekommen sind, befinden sich an der Schwelle zum Arbeitsmarkt oder schon darüber. U.a. aufgrund der Schwierigkeiten, im Heimatland erworbene Qualifikationen und Arbeitserfahrungen nachzuweisen, müssen sich viele Geflüchtete beruflich neu orientieren. Auch hier sind Unterschiede erkennbar: während die Jüngeren mit guter schulischer Vorbildung und alleinstehend, mobiler sind und Ausbildung oder Studium aufnehmen, müssen Ältere, jene mit einer schlechteren schulischen Vorbildung und auch jene, die Familie haben, Geld verdienen, oftmals unter prekären Beschäftigungsverhältnissen. Arbeitsrechtliche, aber auch steuerrechtliche Fragen und Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes werden wichtiger. Die Corona-Krise setzt die Angst um den Arbeitsplatz massiv auf die Tagesordnung.

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