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Projektergebnisse

Broschüre: Fünf Jahre Unterstützung von Menschen mit Fluchtgeschichte durch Aktive aus Migrant*innenorganisationen

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Wo wir heute stehen. Ein kurzer Rückblick und Ausblick

Was erreicht wurde.

2015: Das war das Jahr, indem sehr viele Menschen auf der Flucht hier Schutz suchten. Deutschland erlebte einen „Sommer des Willkommens“. In diesem Zusammenhang entstand u.a. – gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – das Projekt samo.fa = Stärkung von Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit. Der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (BV NeMO) ist verantwortlicher Träger des Projekts.

Die Besonderheit: Aus der Mitte von Migrant*innenorganisationen sind Menschen aktiv,die aufgrund ihrer eigenen Geschichte und auch ihrer besonderen Kompetenzen in der Lage sind, die Bedarfe und Bedürfnisse der Geflüchteten zu verstehen und vertrauens volle Beziehungen aufzubauen.

Samo.fa: An über 30 Standorten in ganz Deutschland.

Was Leserinnen und Leser in dieser Broschüre erwartet:

5…Wie starten? Es entwickelt sich: die „samo.fa-Methode“
7…Im Zentrum: Was die Geflüchteten brauchen
8…Ankommen: ein langer und schwieriger Weg
10…Und dann: die Corona-Krise…
11…Zusammenarbeit „vor Ort“: Verantwortungsgemeinschaften und Netzwerke
12…Eine sichtbare Rolle in der Stadtgesellschaft: die Städte sind anders geworden
14…Die Arbeit mit Geflüchteten: auch ein Impuls für die Migrant*innenorganisationen selbst
15…Zahlenwerk: Reichweite des Projektes
16…Was erreicht wurde
17…Auch nach 2021: das Ankommen begleiten

Hier die ganze Broschüre als pdf-Dokument downloaden.

Flucht aus der Ukraine. Momentaufnahmen aus den Standorten von samo.fa

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5. März 2022

Die samo.fa-Standorte sind da, wenn die Geflüchteten aus der Ukraine kommen. Hier eine erste Übersicht zum Stichtag 4. März 2022:

  • Es sind zuallererst diejenigen Standorte mit Trägern mit ukrainischem oder russischem Hintergrund oder mit wichtigen Personen, die einen solchen Hintergrund haben, bei denen sehr viele Informationen auflaufen und die von Menschen aus der Ukraine kontaktiert werden (z.B. Göttingen, Stralsund, Köln, Fulda…).

– Von diesen wird berichtet, dass es auf offiziellen Wegen bisher nur wenige Flüchtlinge gibt, aber in einer Reihe von Familien schon geflohene Verwandte angekommen sind oder sich angekündigt haben, z.B. in Göttingen oder Fulda.
– Bei diesen Standorten ist eine sehr direkte, persönliche Involviertheit und große, emotionale Betroffenheit zu beobachten: Verzweiflung, Wut… Der Angriff auf die Ukraine und seine Folgen für die Menschen wird als eine extreme Ausnahmesituation erlebt, mit der die „Hiesigen“ auch lernen müssen umzugehen.
– Allmählich werden Hilfen aufgebaut; es stehen dort mehr ehrenamtliche Aktive bereit als für die „normale“ samo.fa-Arbeit der letzten Monate.

Viele Standorte bereiten sich vor, vor allem jene, bei denen ein starker Zugang von
Geflüchteten erst in den nächsten Tagen und Wochen erwartet wird.

– Es gibt Bemühungen, den Pool der ehrenamtlich Aktiven gezielt mit Personen aufzustocken, z.B. in Dortmund, die auch sprachlich vermitteln können.
– Das gilt auch z.B. für Potsdam; dort wird die Zahl der Geflüchteten täglich größer, mittlerweile 100, oder für Nürnberg.
– Es wird geprüft, ob aus dem Kreis der gerade Angekommenen ehrenamtlich Aktive gewonnen werden können, denn viele der Geflüchteten wollen helfen. Dafür müssten spezielle Unterweisungen und Coaching angeboten werden.

Erste Unterstützungen laufen an. Hier lebende Menschen mit ukrainischem und russischem Hintergrund spielen dabei eine herausragende Rolle.

– Es werden primär Maßnahmen organisiert, durch die die Kinder aus den geflüchteten Familien psychisch aufgefangen, abgelenkt werden, ihren Eltern, bzw. vor allem den Frauen, wiederum Luft für Organisatorisches und zum Verarbeiten verschafft werden kann.
– Da die Familien mit Kindern aktuell noch die Hoffnung haben, bald wieder zurückkehren zu können, ist Beschulung im klassischen Sinne nicht der primäre Bedarf. Es geht also weniger um Deutschkurse, als um Lernaktivitäten in ukrainischer Sprache, wie sie z.B. in Reutlingen entwickelt und angeboten werden.
– Weiterleitung von wichtigen Informationen (auch Mehrsprachig – z.B. über Instagram), insbesondere auch rechtlicher Art, und Verweisung auf kommunale/zivilgesellschaftliche Unterstützungsstrukturen; auch Info-Material, das vom Leitungsteam an die Standorte versandt wurde.
– Eine Variante der Aufklärungsarbeit, z.B. in Stralsund, besteht in Podcasts, Schulungen und Material zur Vorgeschichte des Konflikts und zu laufenden Informationen über die Lage in der Ukraine.
– Es laufen erste direkte Beratungskontakte an, so. z.B. in Bielefeld mit Studierenden aus dem Iran, die nun aus der Ukraine geflüchtet sind. Dies Beispiel zeigt zugleich an, wie komplex die Anforderungen an Beratungen sein können.
– Dies gilt auch für die Unterstützung von Geflüchteten mit afrikanischem Hintergrund, um die
sich in Saarbrücken und Berlin gekümmert wird. Aus Potsdam wird berichtet, dass sich afrikanische Studierende, die aus der Ukraine geflohen sind, melden und dringend jedwede Unterstützung benötigen.
– Verweisberatung und Sekundärunterstützung, z.B. logistischer Art, durch erfahrene Träger spielt zunehmend eine wichtige Rolle, wie z.B. in Stuttgart und Augsburg.
– Übernachtungsmöglichkeiten werden geklärt und vorbereitet, z.B. in München. Dort, wo es große osteuropäische Migrant*innen-Communities gibt, wie z.B. in Düsseldorf, kommen laufend Geflüchtete an; bis zum Berichtstag waren es schon 500. 250 Plätze für die Erstaufnahme sind vorbereitet; das reicht aber nicht.
– Es finden Treffen zwischen Migrant*innen-Organisationen statt zur Eruierung von Zusammenarbeit und Abstimmung von Angeboten.
– Spendensammlungen werden initiiert, z.B. in München, Düsseldorf, Reutlingen, Stralsund

Kommunale Zusammenarbeit. Viele Kommunen bereiten Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vor; viele zivilgesellschaftliche Akteure sind ebenfalls „am Start“. Abstimmung, Arbeitsteilung und Zusammenarbeit sind daher von besonderer Bedeutung.

– In Bochum z.B. hat die Stadt ein „Orga-Team“ und ein Initiativkreis gebildet. Die Koordinierung liegt bei der Ehrenamtsagentur. Der samo.fa-Träger ist aktiv beteiligt und schon Anlaufstelle für vielfältige Anfragen und Angebote, die übrigens auch in Hinblick auf Seriosität, Diskriminierungsfreiheit und Machbarkeit geprüft werden müssen.
– An allen Standorten sind mittlerweile Kontakte zu den kommunalen Stellen aufgenommen worden.
– Es ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass die samo.fa-Expert*innen für Geflüchtetenarbeit in die kommunalen Krisenstäbe einbezogen werden.
– Oftmals sind auch die jüdischen Gemeinden erste Anlaufstelle; mit ihnen wird kooperiert, wie z.B. in Mönchengladbach.
– Schon jetzt wird z.T. Vorkehrung für längerfristige Aufenthalte getroffen, wie z.B. in Stralsund durch den Aufbau eines Gesundheitsnetzwerks.
– Als eine besondere Herausforderung wird gesehen, dass die Menschen, die kommen, in der Regel noch Verwandte und enge Freunde in der Ukraine haben und sich allergrößte Sorgen machen müssen. Das Trauma der eigenen Flucht und die psychologische Belastung durch die Sorge um die Zurückgebliebenen verstärken sich gegenseitig. Psychologische Hilfe und
Unterstützung wird dringend notwendig werden.

Aufklärung und Mobilisierung von Solidarität: das Wirken in Richtung auf die eigenen Vereine, die Öffentlichkeit und die lokale Politik gehört zu den „Standards“ der Geflüchtetenarbeit „vor Ort“.

– An nahezu allen Standorten, z.B. in Lübeck, Hannover, Freiburg, München, Münster, Dresden und Leipzig, gibt es Solidaritätsaktionen und Mobilisierung zur Unterstützung der ukrainischen Geflüchteten. Dabei kommen verschiedene Formate zum Einsatz, so z.B. Stellungnahme und Pressenmeldung (München), eine gemeinsame Erklärung von Migrant*innen-Organisationen (Lübeck), Radiokampagnen /-aktionen (Freiburg) und Instagram-Gruppen
– Dialogkonferenzen als eingespieltes Format zum Thema Flucht aus der Ukraine, z.B. in Stralsund

Die Krise mobilisiert Vorurteile und Diskriminierungen. Es besteht die Gefahr, dass sich Unterscheidungen in Geflüchtete, wie akzeptiert und solche, die weniger akzeptiert werden, verschärft.

– Bei den Standorten mit Bezügen zu hier schon lebenden Menschen mit Herkünften aus der Ukraine und aus Russland ist bislang nicht zu beobachten, dass sich Feindschaften entwickeln, eher gebe es gemeinsamen Kummer um den Umstand, Kriegsparteien zu sein. Man wünsche sich, so wird berichtet, eine deutliche Differenzierung zwischen Regierungen
und den Menschen dieser Länder, eine sachliche Herangehensweise und ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Frieden.
– Berichtet wird von der Wahrnehmung, dass Geflüchtete aus der Ukraine in der Öffentlichkeit ein deutlich anderes „Image“ haben als andere Gruppen von Geflüchteten: sie werden als weiß, christlich, europäisch und gebildet gelesen.
– Aus Standorten mit einem starken Bezug zu Menschen z.B. aus afrikanischen Ländern werden die Meldungen über Diskriminierungen von Geflüchteten mit Drittstaatenpässen beim Eintritt in EU-Länder und auch bei Bahnfahrten in Deutschland mit Besorgnis registriert.
– Es ist keineswegs auszuschließen, dass Menschen mit russischem Hintergrund Zielscheibe von Alltagsdiskriminierungen werden. Es gibt Berichte aus erster Hand, dass die Kinder und Jugendlichen in der Schule von deutschen Lehrkräften gefragt werden, wie ihre Eltern politisch und zu Putin stehen.

Das Papier downloaden.

 

11. März 2022

Die Zahl der Geflüchteten wird von Tag zu Tag größer. Besonders gefordert sind nach wie vor diejenigen Standorte, deren Träger einen osteuropäischen Hintergrund haben. Dort, wie z.B. in Düsseldorf, geht der Bedarf an Unterbringung zeitweilig weit über das hinaus, was gerade zur Verfügung steht. Zugleich sind es auch diese Standorte, die aufgrund ihrer vielfältigen Beziehungen in die Ukraine – oder auch in die Nachbarländer der Ukraine, wie Polen – besonders beim Sammeln und Transport von Hilfsgütern engagiert sind. Eine Begleiterscheinung dieser katastrophalen Krise ist die Aktualisierung von Schuldzuschreibungen und Rassismen. Gerade die in samo.fa tätigen Verbünde mit ihrer herkunftsübergreifenden Mitgliedschaft sind hier „Gegenmodell“ und Akteur in der Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus. Zum Beispiel: Gemeinsame Konzerte russischer und ukrainischer Gruppen, wie in Göttingen, haben hierfür einen wichtigen Stellenwert.

Mit der Dauer des Krieges, der wachsenden Zahl von Opfern und der Zerstörung der Bewohnbarkeit der Städte wächst bei vielen Geflüchteten die Befürchtung, nicht oder jedenfalls nicht schnell zurückkehren zu können. Bleibeperspektiven werden in Erwägung gezogen, oder z.T. auch schon aktiv verfolgt. Bedarfe und Bedürfnisse der Geflüchteten erweisen sich als differenzierter, als oft unterstellt wird; so wird aus Bochum und vielen anderen Standorten berichtet.

Fast übergangslos beginnt eine zweite Phase, in der es nicht mehr „nur“ um Grundversorgung geht, sondern ein zumindest auf einige Zeit angelegter Aufenthalt vorbereitet werden muss. Ein Hinweis z.B. aus Reutlingen: „Alle wollen Deutsch lernen, lieber gestern als heute“.  Das heißt: die provisorische Unterbringung bei Freunden, Verwandten oder in Auffangeinrichtungen muss gegen zumutbare Wohnlösungen getauscht werden, Kinder und Jugendliche in KiTAs und Schulen angemessen und fördernd integriert, wie z.B. in Stralsund der Zugang zur Gesundheitsversorgung – auch wegen Covid-19 und Impfungen, aber auch wegen der großen Zahl älterer Menschen, die gekommen sind  – geöffnet und gefördert und ein Grundeinkommen gesichert werden.

In dieser jetzt beginnenden Phase sind die Kompetenzen, die die ehrenamtlich Aktiven und die Koordinator*innen von samo.fa in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, dringend gefordert. Davon würden auch kommunale Mittelfriststrategien profitieren, die nun dringend entwickelt werden müssen. Noch aber hat sich die lokal-kommunale Kooperation „auf Augenhöhe“ immer noch nicht befriedigend und wirksam genug eingespielt.

Bild: canva.com

Flüchtlingsarbeit als ständige Aufgabe vor Ort: samo.fa im 1. Halbjahr 2021

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Im 1. Halbjahr 2021 werden die Arbeitsschwerpunkte des Vorjahres fortgesetzt, insbesondere auch die Auseinandersetzung mit dem Rassismus. Das leitende Thema des 1. Halbjahres aber ist: Flüchtlingsarbeit als ständige kooperative Aufgabe vor Ort. Die Förderung von samo.fa wird in der bisherigen Form definitiv Ende 2021 auslaufen. Da aber damit wird weder die weitere Unterstützung der Menschen mit Fluchtgeschichte, die in den vergangenen Jahren ankommen sind, überflüssig, noch enden Flucht und Asyl. Vorträge und Gesprächsrunden auf der Bundesnetzwerksitzung am 11. Februar 2021 haben dies noch einmal sehr klar gemacht.

Die Bundesdialogkonferenz im Juni 2021 und die vorher stattfindenden Lokalen Dialogkonferenzen werden dies zum Thema haben, mit wichtigen Partnern und Gästen aus der Kommune und aus den Organisationen, mit denen gemeinsam vor Ort gearbeitet wird. Besonders wichtig ist dabei der Schulterschluss mit dem Verbund „Kommunen – Sichere Häfen“.

Unsere lokale Arbeit ist ganz nahe bei den Menschen mit Fluchtgeschichte und sie muss ihnen nutzen. Alles steht nach wie vor im Zeichen der Corona-Krise. Auf die zu befürchtenden und schon eingetretenen negativen sozialen Folgen hat der Aktionstag am 26.Februar nachdrücklich hingewiesen. Die Problemlagen verändern sich unter Corona-Bedingungen ständig. Deshalb wird in diesen Wochen mit erneuter Neugier, mit Phantasie und genauem Blick die lokale Flüchtlingsarbeit reaktiviert.  

Hierzu gehört auch der „Winter der Bildung und Lebensfreude“: Bildung und Lebensfreude wird auch noch gebraucht, wenn das Frühjahr kommt. (WK 10.3.2021)

Zur Lage von Menschen mit Fluchtgeschichte Anfang 2020. Eine Zusammenschau aus den Standorten von samo.fa

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Anfang 2020: ein zwiespältiges Bild

An vielen Standorten ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Lage von Menschen mit Fluchtgeschichte als ein wichtiges öffentliches Thema wachzuhalten und sie zugleich ganz konkret zu unterstützen. Die Arbeitsschwerpunkte von samo.fa im Laufe der vergangenen Jahre markieren die veränderten Herausforderungen auf dem langen Weg der Geflüchteten in ihren neuen Alltag.

So ist das Bild Anfang 2020 zweigeteilt: Ein erheblicher Teil derjenigen, die 2015/2016 gekommen und geblieben sind, hat sich eingelebt und eine Basis für das Alltagsleben gefunden. Das heißt aber nicht, dass alle Probleme gelöst wären und der lange Schatten von Flucht- und Fluchterfahrungen überwunden ist. Zur Normalisierung gehört auch, dass an vielen Standorten Geflüchtete selbst Vereine gründen; das wird von samo.fa unterstützt.

Ein anderer Teil der Menschen mit Fluchtgeschichte allerdings befindet sich nach wie vor in einer sehr schwierigen Lage, die mit vielfältigen sozialen Risiken verbunden ist. Samo.faplus wird 2020 und 2021 genau hier einen seiner Schwerpunkte haben.

Allmählich aus der Aufmerksamkeit gefallen

Schon vor der Corona-Krise ist die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der Lage der Menschen mit Fluchtgeschichte und auch die Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft zurückgegangen. „Die Zeit der aktiven Unterstützung ist vorbei“, wird zum Teil berichtet. Es ist zum Teil schwieriger geworden, das Engagement von Ehrenamtlichen aufrechtzuerhalten oder neue Aktive zu gewinnen oder auch Migrant*innen-Vereine zu motivieren, sich weiterhin besonders für Geflüchtete zu öffnen. Kommunen haben Mittel für die Flüchtlingsarbeit reduziert oder sind dabei, Geflüchtete nicht mehr als besondere Zielgruppe zu behandeln (was durchaus auch dem Wunsch jenes Teils der Geflüchteten entspricht, die sich selbst als „angekommen“ einschätzen).

Rassismus

Aus allen Standorten wird darauf hingewiesen, dass mit dem langsamen Ermüden des Engagements für die Geflüchteten „Platz“ gemacht wird für einen stärker werdenden alltäglichen Rassismus, der durch den völkischen Rechtspopulismus angetrieben wird. Der Terroranschlag in Hanau im Februar 2020 hat in den Communities als ein Schock gewirkt, der Angst, Verunsicherung, aber auch Wut ausgelöst hat. „Rassismus wird zur größten Herausforderung“, heißt es in manchen Berichten.

Viele Menschen leben noch in Erstaufnahme- oder Übergangseinrichtungen

Aus vielen Städten wird berichtet, dass noch viele Menschen in Erstaufnahme- und Übergangseinrichtungen oder in Containern leben; im Dezember 2019 z.B. in Stuttgart immerhin ca. 5865. Es zeigt sich, dass sich in diesen Gemeinschafts- und Notunterkünften vor allem die besonders Benachteiligten konzentrieren, während z.B. jüngere alleinstehende Mobile eher ausziehen und z.B. Zimmer in Wohngemeinschaften finden. Ein Hinweis auf diese Situation ist auch die hohe Zahl von sogenannten Fehlbelegungen, also von Menschen, die weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft bleiben, obwohl sie anerkannt sind und ausziehen könnten. Das sind in Nürnberg im Januar 2020 immerhin 1375 Menschen; im Landkreis Fulda ist von den 1.174 Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften (Landkreis Fulda); etwa ein Drittel anerkannt und wohnungssuchend. Ein Grund ist der in Städten besonders angespannte Wohnungsmarkt.

Und jetzt: Corona

Ein Blick auf die Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Freiburg (Breisgau): Sie ist mit 177 Personen dicht belegt, die bis zum 20. April unter Präventions-Quarantäne gestellt sind. Die Bewohner dürfen nur einzeln die LEA zum Einkaufen verlassen; ihr Budget reicht aber für tägliche Einkäufe nicht aus. 80 von derzeit 177 Geflüchtete aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Freiburg sind mittlerweile in die Jugendherberge Freiburg International verlegt worden, um die Virus-Verbreitungsgefahr im Lager zu verringern. – Von allen Standorten wird mittlerweile über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Lage der Menschen von Fluchtgeschichte und die Arbeit mit ihnen berichtet (hierzu folgt auf dieser Homepage eine gesonderte Berichterstattung).

Unsicherer Aufenthaltsstatus

Während viele derjenigen, die zuerst gekommen und geblieben sind, ihre Anerkennung erhalten haben, gilt dies nicht in gleicher Weise für die später Eingetroffenen. Durch die zwischenzeitliche Verschärfung des Asylrechts kommt es z.B. zu einer wiederholten Verlängerung der Duldung oder sie stecken in der „Dublin-Falle“, weil sie über ein anderes EU-Land eingereist sind. Unsicherheit und ständige Angst vor Abschiebungen begleitet diese Menschen. Aus einer Reihe von Standorten wird berichtet, dass die Zahl der erfolgten Abschiebungen zugenommen habe.

Schule und Arbeitsmarkt

Hinweise aus einigen Städten legen dringend nahe, erneut einen kritischen Blick auf die Frage zu richten, ob und wie die Kinder aus Familien mit Fluchtgeschichte Zugang zu KiTa’s und zum Schulsystem finden. Es ist zu befürchten, dass ein Teil von ihnen schulisch „abgehängt“ bleibt und damit die große Minderheit von jungen Leuten vergrößern, die mit Mängeln bei der formalen Bildung in das Erwachsenenleben starten. Diese Problematik wird durch die Schulschließungen in der Corona-Krise besonders akzentuiert: Nach Einschätzung des Berliner Sozial- und Bildungsforschers Klaus Hurrelmann verfügen nur ca. 15 Prozent aller Schulen über gute digitale Programme; Einrichtungen in sozialen Brennpunkten gehören in der Regel nicht dazu. Dadurch seien Kinder aus bildungsfernen Schichten oder aus Flüchtlingsfamilien besonders gefährdet. Die meisten Flüchtlingskinder verfügten nicht über digitale Arbeitsmöglichkeiten wie Laptops.“ –

Viele Menschen, die 2015/2016 gekommen sind, befinden sich an der Schwelle zum Arbeitsmarkt oder schon darüber. U.a. aufgrund der Schwierigkeiten, im Heimatland erworbene Qualifikationen und Arbeitserfahrungen nachzuweisen, müssen sich viele Geflüchtete beruflich neu orientieren. Auch hier sind Unterschiede erkennbar: während die Jüngeren mit guter schulischer Vorbildung und alleinstehend, mobiler sind und Ausbildung oder Studium aufnehmen, müssen Ältere, jene mit einer schlechteren schulischen Vorbildung und auch jene, die Familie haben, Geld verdienen, oftmals unter prekären Beschäftigungsverhältnissen. Arbeitsrechtliche, aber auch steuerrechtliche Fragen und Aspekte des Arbeits- und Gesundheitsschutzes werden wichtiger. Die Corona-Krise setzt die Angst um den Arbeitsplatz massiv auf die Tagesordnung.

samo.fa+: Flüchtlingsarbeit ist eine dauerhafte Aufgabe

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Ziele, Schwerpunkte und Arbeitsweisen in den Jahren 2020 – 2021

Die Arbeit von samo.fa wird fortgesetzt: als samo.fa plus wird es vom Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen weitergeführt und erneut für die Jahre 2020 und 2021 durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert. Der unverzichtbare Beitrag von Migrantenorganisationen in diesem Feld wird damit erneut anerkannt.

 Plus bedeutet, dass für diese Jahre besondere Akzente gesetzt werden. Die Menschen, die ab 2015 als Geflüchtete kamen, sind nach wie vor auf einem langen und z.T. schwierigen Weg in ihren neuen Alltag und zu gleichberechtigter Teilhabe. Zugleich ist klar: Flucht und Asyl bleiben aktuell, Einwanderung steht nicht still.

Auf der Basis einer breiten und soliden Erfahrung vor Ort geht es in den Jahren 2020 und 2021 um zwei eng miteinander verbundene Aufgaben, nämlich (a) die Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Fluchtgeschichte entsprechend ihrer differenzierten Bedarfe fortzusetzen und (b) auf Nachhaltigkeit in dem Sinne hinzuwirken, dass auch künftig Migrantenorganisationen in der Lage sind, als kritisch-konstruktive Partner der Kommunen und in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren ihren Beitrag zu leisten.

Daraus ergeben sich die vier Arbeitsschwerpunkte für die Jahre 2020-2021: Erstens bei der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Fluchtgeschichte besondere Aufmerksamkeit auf jene zu richten, die sich in besonders schwierigen und risikoreichen Lebenslagen befinden, zweitens Menschen mit Fluchtgeschichte und jene, die sich für diese engagieren, vor Anfeindungen zu schützen und auf eine bessere Anerkennung zivilgesellschaftlichen Engagements hinzuwirken, drittens die Flüchtlingsarbeit als ständige kooperative Aufgabe vor Ort zu verstehen und zu festigen und viertens hierfür an der Ausreifung und Stärkung förderlicher lokaler Strukturen aktiv mitzuwirken.

In diesen beiden Jahren geht es auch darum, die Erfahrungen und Kompetenzen, die sich vor Ort vorhanden sind, noch stärker als bisher zur Verfügung zu stellen, innerhalb und außerhalb von samo.fa (Stichwort: Kompetenznetzwerk). Ein wichtiges Instrument hierfür ist die mittlerweile eingespielte samo.fa-Methode mit ihrer engen Verknüpfung von lokalen Aktivitäten einschließlich lokaler Dialogkonferenzen und bundesweitem Austausch und gemeinsamer Stimme.  WK 15.03.2020

Migrant*innen-Organisationen heute: Immer stärker in der lokalen Flüchtlingsarbeit – Dritte samo.fa – Bundesdialogkonferenz in Halle (Saale)

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Es war eine Konferenz, in der endlich nun auch über Erfolge gesprochen wurde: bei der Unterstützung von Geflüchteten auf ihrem langen und schwierigen Weg in den neuen Alltag. Unter der Überschrift „Angekommen? Teilhaben jetzt!“ trafen sich am 20. und 21. September 2019 im altehrwürdigen Stadthaus in Halle (Saale) Aktive aus 34 Standorten von samo.fa mit Expert*innen aus Politik, aus Verbänden und aus der Wissenschaft, insgesamt um die 120 Teilnehmer*innen. Dialogkonferenz eben.

Noch einmal zur Erinnerung: samo.fa steht für „Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit“ und wird seit 2016 von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert. Träger dieses großen bundesweiten Vorhabens ist der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (BV NeMO) mit Sitz in Dortmund.

Halle als Beispiel

Schon Oberbürgermeister Wiegand machte in seinem Grußwort zu Beginn der Konferenz deutlich: Alle Städte sind mittlerweile Einwanderungsstädte. Und: Für ein gutes und respektvolles Zusammenleben sind Migrantenorganisationen als Partner unverzichtbar. Er hob den engen Austausch mit dem Verbund der Migrantenorganisationen in Halle (VeMO) hervor; VeMO ist das Gesicht von samo.fa in Halle und war Mitveranstalter der Dialogkonferenz. Wie angesehen VeMO mittlerweile ist – aber auch, wie klar sich Halle als vielfältige Stadt positioniert – wird daran deutlich, dass dieses Jahr gemeinsam die Auftaktveranstaltung und das bunte Programm der „Interkulturellen Woche“ durchgeführt wird. Halle zeigt sich damit auch als guter Ort für die Bundesdialogkonferenz.

Der lokale Ansatz: Nahe bei den Menschen

Dr. Ümit Koşan, Vorsitzender des BV NeMO und Mitglied im Leitungsteam von samo.fa, zog einleitend eine positive Bilanz der bisherigen Arbeit: Der lokale Ansatz, der jeweils durch eine hauptamtliche Stelle unterstützt wird, hat sich bewährt, weil er ganz nah an den Lebenszusammenhängen der Menschen mit Fluchtgeschichte angesiedelt ist. Das wurde dann auch bunt und lebendig demonstriert, als viele Beteiligte im Block „Halle als Beispiel“ Einblick in ihre Aktivitäten gaben.  Gerade diese Nähe zu den Menschen mit Fluchtgeschichte sei samo.fa besonders gut gelungen, hob in ihrem Beitrag auch Dr. Claudia Martini vom Arbeitsstab der Bundesintegrationsbeauftragten hervor. Die Migrantenorganisationen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, haben „vor Ort“ Gewicht und Stimme gewonnen und sind aus dem Kreis der wichtigen Akteure nicht mehr wegzudenken.

Außerdem wurden 100 Botschaften als Ergebnisse aus den lokalen Konferenzen aller Partner*innen zusammengetragen und präsentiert. 

Die Ergebnisprotokolle der Workshops gibt es hier. 

Verbünde auf lokal-kommunaler Ebene: eine wichtige Entwicklung

Als eine besondere Erfolgsbedingung erwies und erweist sich der Zusammenschluss verschiedener Migrantenorganisationen zu herkunftsübergreifenden, religionsneutralen lokalen Verbünden. Nahezu überall sind solche Verbünde entstanden oder in der Vorbereitung oder Planung. Damit tritt ein neuer Typ von Migrantenorganisationen auf, der sehr viel Potenzial hat. Diese Erfahrung zog sich im Übrigen durch die gesamte Konferenz durch und spielte auch in der abschließenden Runde am Ende des 2. Tags noch einmal eine wichtige Rolle. Dort wurde nämlich bei den Ausführungen der Gesprächspartner aus der „kommunalen Familie“ deutlich: es wird gewünscht, dass die Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle im lokal-kommunalen Feld spielen, aber in Hinblick auf ihre Teilhabe auf Augenhöhe gibt es noch „viel Luft nach oben“.

Es bleibt viel zu tun

Es bleibt viel zu tun: Weil der Weg in den neuen Alltag schwierig und langwierig ist, brauchen die Menschen mit Fluchtgeschichte auch weiterhin eine nahe und gut zugängliche Begleitung und es braucht Begegnungsräume. Die Bedarfe und Bedürfnisse differenzieren sich mit der Zeit weiter aus – dies war Thema in den Facharbeitsgruppen, in denen Inputs und Erfahrungsberichte sich ergänzten. Mehr in die Aufmerksamkeit rücken dabei auch strukturschwache Räume, insbesondere, aber nicht nur in Ostdeutschland. Dem trägt samo.fa übrigens schon jetzt dadurch Rechnung, dass mit Erfurt, Güstrow und Weimar drei der vier zusätzlichen Standorte in Ostdeutschland liegen. Schließlich machten die Beiträge in einem Themenfenster auf wichtige Veränderungen der migrationspolitischen Rahmenbedingungen aufmerksam: neben dem erstarkenden Rechtspopulismus führen auch die neuen Asylgesetze teilweise erschwerende und mit grundlegenden Ansprüchen an Menschenwürde kollidierende Bedingungen, insbesondere für Menschen, die (noch) nicht über eine gesicherte Bleibeperspektive verfügen.

Ergebnisse aus den verschiedenen Workshops gibt es im internen Bereich zum Download.

Händel-Musik auf der Oud

Um Menschenwürde und um die vielfältigen Gründe für Flucht ging es Beginn dieses zweiten Tages der Film „Tokanara“ eindrucksvoll. Der Tag endete versöhnlich damit, dass zwei aus Syrien stammende Musiker auf Oud und Gitarre die Sarabande von Georg-Friedrich Händel, dem großen Sohn der Stadt Halle und auch Migrant, spielten.

WK

Hinweise zur Lage der Menschen mit Fluchtgeschichte an den Standorten von samo.fa Ende 2018

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Im Jahr 2018 ist der Übergang in den Alltag auf der einen Seite noch deutlicher zu beobachten, auf der anderen Seite verlängern sich auch die mit der Ankunft verbundenen Ausnahmesituationen oder verschärfen sich noch aufgrund der langen Dauer nicht erfolgter Normalisierung. Neue Anforderungen treten hinzu. Die lange Verweildauer in Ausnahmesituationen führt ihrerseits zu Belastungen, die „verarbeitet“ werden müssen. Zugleich kommen kontinuierlich auch neu Geflüchtete hinzu, wenn auch in wesentlich kleineren Zahlen.

Auf der Basis der Ende 2018 vorgelegten Städtedossiers folgt nun eine nach Lebensbereichen und Erfahrungsfeldern geordnete Skizze der Lage von Menschen mit Fluchtgeschichte im vierten Jahr nach dem „langen Sommer des Willkommens 2015“. Ergänzt wird dies um Hinweise zur Entwicklung der städtischen Politik am Beispiel der 32 Standorte von samo.fa.

Unterbringung/Wohnen

Im Unterschied zur Erwartung, dass sich der Übergang von Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen beschleunigen würde, zeigt sich auch am Ende 2018 noch das Bild, wonach an vielen Orten nach wie vor die Unterbringung in sogenannten Übergangseinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften dominiert. Dies gilt vor allem für Großstädte mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt. Der Bedarf an Wohnungen steigt überdies durch den Familiennachzug.

Einige Schlaglichter: Für Berlin und München gilt die hauptsächliche Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ebenso wie in Stuttgart, wo „6000 Personen auf eine Wohnung warten“, aber auch in Nürnberg, Lübeck, Potsdam, wo 1300 weiterhin in Gemeinschaftseinrichtungen leben, während 400 in Wohnungen umgezogen sind, und in Reutlingen. Zum Teil ist „Umzug in Wohnungen“ auch mit Unsicherheiten, wie dies entschieden wird (z.B. Potsdam) und z.B. mit der Notwendigkeit für noch nicht anerkannte Asylbewerber, ein Gesundheitsattest vorzulegen (Nürnberg), verbunden.

In anderen Städten ist die Situation eher zweigeteilt: ein erheblicher Verbleib in Gemeinschaftsunterkünften ist z.B. in Köln mit der Unterbringung in von der Stadt angemieteten Beherbergungsunternehmen (Hotels, Pensionen…) verbunden – immerhin macht dies dort 23 % der Unterbringungen aus. In Nürnberg erfolgt eine Konzentration auf weniger Gemeinschaftsunterkünfte, in denen zugleich die Asylsozialarbeit reduziert wird.

Für eine ganze Reihe von Städten gilt eine Fortführung in Gemeinschaftsunterkünften und in städtischen angemieteten Wohnungen, so z.B. in Hildesheim, bzw. in Saarbrücken, das einen sehr angespannten Wohnungsmarkt für Geringverdiener aufweist. Oftmals ist der Umzug in Wohnungen mit dem Zuzug in sozial belastete Wohnquartiere oder an den Stadtrand verbunden, mit zusätzlichen Belastungen und dem Risiko von Konflikten; hiervon wird aus Kiel, Halle – wo die zentrale Unterbringung abgelöst wird –  und Saarbrücken berichtet.

Hoyerswerda berichtet vom Wechsel aus zentraler in dezentraler Unterbringung, ebenso wie Friedrichshafen und auch Bielefeld, wo für 2019 geplant ist, dass 30 % der Geflüchteten in selbst gemieteten Wohnungen unterkommen.

Hier und da begegnen wir in diesem Feld innovativen kommunalen Konzepten, so in Braunschweig den Bau von Gemeinschaftseinrichtungen, die einer alternativen Nachnutzung, z.B. als Studentenheime, zugeführt werden können. Oder in Dortmund, wo seit 2017 die Linie verfolgt wird, private Wohnungen für Geflüchtete zu gewinnen (Ende 2017 war dies schon für fast 7000 gelungen) und dies mit einem neuen Typ dezentraler Unterstützung unter dem Titel „Lokal Willkommen“ in drei Stadtteilen zu verbinden.

Gesundheit

Auch nach vier Jahren bleibt die Funktionsweise des Gesundheitssystems für viele Menschen mit Fluchtgeschichte intransparent. Formal ist in vielen Fällen der Zugang geklärt, wie z.B. in Stuttgart, wo es nach 15 Monaten die allgemeine Gesundheitskarte gibt. Dort z.B. sieht es aber das Gesundheitsamt für notwendig an, Gesundheitslotsen auszubilden.

Traumatisierungen werden stärker thematisiert, so in Braunschweig und in Bochum. Berichtet wird auch darüber, dass aus Familientrennung neue Traumatisierungen und auch andere – z.B. psychomotorische – Erkrankungen entstehen können. Kinder scheinen davon besonders betroffen zu sein.

So heißt es u.a. im Städtedossier aus Bochum:

„Oftmals sind Eltern/Kinder/Geschwister getrennt voneinander. Durch diese Trennung zieht sich das Trauma einer Flucht bzw. Migration über bis zumal Jahre fort und wird zu einem Generationen übergreifenden Trauma.  Die Zerrissenheit der Familien, die Ungewissheit über das Lebenswohl und die allgemeine Situation schaffen neue Traumata und Störungen. Viele Menschen sind von Existenzängsten und Depressionen betroffen. Die Familienzusammenführung ist ungewiss, sei es die Dauer aber auch die Realisierung. Der Kontakt, der zu den fehlenden Familienmitgliedern hergestellt wird, ist durch die traumatische und unbestimmte Situation unkontrolliert. Eine professionelle Begleitung der Kinder und Familien setzt zumeist erst mit dem Status ein. D.h. in den wichtigsten Phasen der Begleitung sind es oftmals Ehrenamtler*innen, die diese Familien begleiten. So leiden die Kinder häufig an Schlafstörungen, da die gestresste Kommunikation des vorhandenen Elternteils auch oftmals bis tief in die Nacht geht. Die angespannte Situation führt auch zu weiteren Störungen bei den Kindern. Die Bandbreite geht von extrem Introvertierten bis hin zu aggressiv auffälligen Kindern. Viele Mütter sind stark mit der Situation, alleinerziehend in einem fremden Land zu sein, überfordert, so stellt sich die Erziehung auch als problematisch heraus. Zu einem wird in vielen Familien nicht auf Schlafzeiten geachtet und zum anderen in traditionell wichtigen Dingen kleinste Fehler des Kindes zu stark geahndet. Alles in allem sind die Folgen auch nach der Familienzusammenführung deutlich spürbar und ziehen sich über Jahre durch.   Die Mütter sind mit einem oder mehreren Kindern alleinerziehend haben ihre eigenen neuen Sorgen, Überforderungen und sollen sich auch erzieherisch neu orientieren und sich zugleich integrieren, aber erst nach einer Wartezeit im Ungewissen. Wenn dann diese Hürde genommen ist und der Ehemann einreisen darf, muss er sich erstmal in das System integrieren und auch sich in seine neue Rolle in der Familie einfinden. Das bis dato Oberhaupt der Familie, muss Autorität abgeben. Oftmals entstehen sehr starke Konflikte aus dieser Kombination, die sich wiederum auf die Kinder auswirken. Die Auswirkungen festigen sich und werden oftmals Generationen übergreifend.“

Themen wie Diabetis rücken, wie in Freiburg und Saarbrücken und dort auch sexuelle Aufklärung, in den Blick, ebenso wie Migration & Behinderung. Die Gesundheitsfrage aktualisiert sich offenbar zunehmend. Dies hat mindestens zwei Gründe: zum einen tritt jetzt erst eine relative „Ruhe“ ein, die gesundheitliche Störung bewusstwerden lässt, zum anderen aber werden gesundheitliche Probleme nun zu einem realen Risiko beim Eintritt in die Bildungsinstitutionen und auf dem Arbeitsmarkt, oder sogar – wie das Nürnberger Beispiel zeigt – für den Zugang zu Wohnungen.

Kinder, Jugendliche – Bildung

 Der Zugang zu Kindertagesstätten ist offenbar an verschiedenen Orten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, weil es in diesem Bereich Platzmangel gibt; Bochum und Saarbrücken berichten darüber. Auch wird angesprochen, dass Kinder und Jugendliche in den Bildungseinrichtungen z.T. Diskriminierungserfahrungen machen, auch, was die Zuweisung zu bestimmten Schulformen betrifft.

Aus Nürnberg kommt der Hinweis, dass in den neuen in Bayern errichteten Ankerzentren ein differenziertes Bildungsangebot für die dort lebenden Kinder und Jugendlichen zu wünschen übriglässt. In manchen Kommunen wird die Notwendigkeit gesehen, Kinder mit Fluchterfahrung und die aufnehmenden Kitas und Schulen durch Kulturmittler zu stärken, wie z.B. in Heilbronn.

Die Förderung von Kindern findet im Übrigen insgesamt mehr Aufmerksamkeit, so in Braunschweig, Fulda und Hoyerswerda.

Berufsausbildung bleibt eine wichtige Zielmarke für junge Geflüchtete, allerdings ist auch hier das Bild uneinheitlich: Positiven Erfahrungen, wie sie aus Hannover berichtet werden, steht – etwa nach Erfahrungen aus Kiel – gegenüber, dass sich Ausbildungsabbrüche einstellen; insgesamt wirft der Eintritt in das Erwachsenenalter mit 18 Jahren und der damit verbundene rechtliche und förderungsbezogene Statuswechsel erhebliche Probleme auf. Gerade bei den jugendlichen „Quereinsteigern“ bleiben Mängel in der deutschen Sprache ein Risiko sowohl für die Aufnahme einer Ausbildung als auch für ihren erfolgreichen Abschluss, deshalb setzen hier vorbereitende beruflich orientierte Sprachförderung, wie bei der Sprach-Werkstatt in Halle, oder auch – z.T. über Spenden finanzierte – Sprachförderung an beruflichen Schulen wie in Heilbronn an. Aus Hildesheim wird darauf hingewiesen, dass es einen wachsenden Bedarf älterer Menschen mit Fluchtgeschichte gibt, einen Schulabschluss zu machen.

Arbeitsmarkt

 Überall rückt die Frage nach einem Einstieg auf dem Arbeitsmarkt und nach Art und Qualität der Beschäftigung – vier Jahre nach 2015 – immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie gut die Einstiege gelingen können, hängt im erheblichen Umfang auch von der Lage auf dem lokalen Arbeitsmarkt ab, aber auch von der Art und Weise, wie die Jobcenter agieren. Heilbronn berichtet z.B. von einer deutlich verstärkten Vermittlung in Ausbildung und Arbeit, in Bielefeld konnte die „Integrationsquote“, also der Einstieg in Beschäftigung, auf 21 Prozent der dem Arbeitsmarkt zu Verfügung Stehenden gesteigert werden, das Jobcenter in Mönchengladbach berichtet davon, dass sich als wichtige Voraussetzung, die Deutschkenntnisse deutlich verbessert haben und dass nunmehr eine systematischere Vermittlungsarbeit gelingt.

Nach wie vor bleiben vorbereitende Aktivitäten, wie das Job Café in Waltrop oder die Job & Ausbildungs-Börse in Freiburg, die vom Jobcenter und der Stadt unterstützt wird, sehr wichtig; es scheint aber so, als müsse dies künftig auch durch flankierende Aktivitäten entlang der oftmals „gebrochenen“ Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse ergänzt werden. Nach wie vor bleibt die Anerkennung der mitgebrachten Qualifikation ein Problem, wie aus Potsdam und Mönchengladbach berichtet wird. Verstärkt in den Blick kommt die Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Fluchtgeschichte; dies bildet z.B. in Halle mittlerweile einen Schwerpunkt. Legale bezahlte Arbeit zu finden, ist besonders für nicht anerkannte Geflüchtete eine hohe Schwelle; aus Nürnberg wird hierzu berichtet, dass die Ausländerbehörde, die über den Zugang mitentscheidet, dabei ist, die Handhabung der entsprechenden Gesetze zu lockern.

Frauen (und Männer)

 Die Arbeit mit Frauen mit Fluchtgeschichte hat sich im samo.fa-Vorhaben insgesamt als ein Schwerpunkt entwickelt, z.B. in Bielefeld, aber auch an vielen anderen Standorten; dies liegt an ihrer mehrfach schwierigen Situation.

Zunächst bringen viele Frauen, die aus patriarchalischen Verhältnissen kommen – so die Erfahrungen aus Halle – durch ihre vormalige Konzentration auf Familienarbeit und ihre oftmals geringe formale Bildung für den Eintritt in den hiesigen Arbeitsmarkt schlechte Voraussetzungen mit. Dennoch mussten sie sich, wenn sie ohne ihre Männer angereist sind, allein „durchschlagen“ und waren und sind aufgrund der Familientrennung alleinerziehend, wie aus Bochum berichtet wird. Verbunden mit den praktizierten „Überlebensstrategien“ ist dann oftmals ein neues Selbstbewusstsein entstanden, das mit den Familienzusammenführungen möglicherweise auf eine starke Probe gestellt wird. Partner-Konflikte sind damit gewissermaßen „vorprogrammiert“.

Spiegelbildlich hierzu werden z.T. auch junge Männer, die alleingekommen sind, zu einer wichtigen Zielgruppe, wie z.B. in Nürnberg und in Dresden.

Praktische Informationen – jetzt

Es zeigt sich, dass in dieser Phase des Wegs in den Alltag der Bedarf an Informationen viel konkreter wird als beim Ankommen. Damit sind alle Akteure in der Flüchtlingsarbeit erneut gefordert, und insbesondere auch diejenigen, die in samo.fa mitarbeiten. Es geht nicht mehr darum, die Menschen mit Fluchtgeschichte „rund um die Uhr“ zu betreuen, sondern sie auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit zu unterstützen und sie in ihren Rechten gegenüber dem Regelsystem zu stärken. Verweisungswissen ist gefordert. Das Ziel der Öffnung der Regelsysteme wird z.B. von der Stadt Stuttgart ganz explizit gemacht: „Geflüchtete zunehmend in die Regelstrukturen aufzunehmen“.

Der Komplex „Abschiebung“

Es ist aufgrund der politischen Debatten des letzten Jahres und der Verschärfung der Asylgesetzgebung nicht verwunderlich, dass der Komplex „Abschiebung“ an Gewicht in der Arbeit vor Ort gewonnen hat – insbesondere in seinen indirekten Wirkungen auf die hier lebenden Menschen mit Fluchtgeschichte, im Sinne von Verunsicherung, Angst und dem Gefühl, letztendlich doch nicht willkommen zu sein. Es wird ein Anstieg von Abschiebungen beobachtet, wie z.B. in Kiel, Halle oder Potsdam. Aus Köln wird darauf hingewiesen, dass die realisierten Abschiebungen teilweise nur einzelne Familienmitglieder treffen und damit dann das – erneute – Auseinanderreißen von Familien verbunden sein könnte.

Insbesondere in vielfältiger Weise belastet sind jene Menschen, die im Duldungsstatus leben oder Ablehnungen mit einem Abschiebungsstopp erhalten haben. Menschen aus bestimmten Herkunftsländern sind hiervon besonders betroffen. Aus München und Köln wird auf Geflüchtete aus Afghanistan, Pakistan und verschiedenen afrikanischen Ländern, bzw. vom Balkan hingewiesen, aus Göttingen auf Tschetschenen und Armenier.

 Stimmungslagen

 Die Städte haben sich in den letzten Jahren stark verändert; sie sind alle vielfältiger geworden. Dies gilt auch für die Standorte im Osten Deutschlands, z.B. in Halle, wo sich der Anteil der Menschen mit Migrationsgeschichte in wenigen Jahren verdoppelt hat. Diese Normalisierung in Richtung auf „Einwanderungsgesellschaft“ löst – wie wir wissen – unterschiedliche Reaktionen aus.

Die Städtedossiers 2018 vermitteln den Eindruck, dass bei den Menschen mit Fluchtgeschichte eine Eintrübung ihrer positiven Erwartungen und Haltungen zur deutschen Gesellschaft im Gang ist. Dies hat sicherlich – wie schon im Bericht über das Jahr 2017 hervorgehoben – mit dem mühseligen und durch vielfältige Hemmnisse geprägten Weg in den neuen Alltag zu tun, mit langen Wartezeiten und den fortbestehenden Trennungen von der Familie.

Aber es ist auch die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas und die Verschärfung im politischen Diskurs, die von den Menschen mit Fluchtgeschichte aufmerksam registriert werden (aus Hoyerswerda wird z.B. darauf hingewiesen, dass bei der letzten Bundestagswahl die AfD mit 27,8 Prozent am stärksten gewählte Partei war). Dies führt, wie z.B. aus Potsdam berichtet wird, auch zuweilen zu „Überreaktionen“: „manche halten sich zu schnell für diskriminiert“, obwohl die Schwierigkeiten gut lösbar sind. Diese Situation ist im Übrigen auch ein „Einfallstor“ für Geschäftemacher, Betrüger und für gezielte Fehlinformationen – so die Erfahrungen aus Bochum -; hier seien Gegeninformationen und vertrauenswürdige Anlaufstellen unverzichtbar. Dass Alltagsrassismus ungebrochen sei oder in der letzten Zeit zugenommen habe, wird aus Lübeck, Halle, Köln, Potsdam, Bochum und Stralsund berichtet.

 Niedrigschwellige und sichere Begegnungsräume

 Vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Lebenslage, aber auch im subjektiven Befinden der Menschen mit Fluchtgeschichte, wird das Vorhandensein niedrigschwellig zugänglicher und sicherer Begegnungsräume sehr wichtig. So bleiben fehlende Räume, wie in Hoyerswerda und Freiburg, ein wichtiges Thema. In beiden Fällen waren und sind es die samo.fa-Träger, die temporäre Räume zur Verfügung stellen.

An anderen Orten gelang es sogar, stabile und dauerhafte Zentren, zumeist mithilfe kommunaler Förderung, zu eröffnen, wie der „Chapeau“-Club in Mönchengladbach oder – ein besonders herausragendes Beispiel – der Weltclub in Dresden. In Dortmund wurde – dem Übergang der Menschen aus den Gemeinschaftseinrichtungen in Wohnungen, konzentriert in bestimmten Stadtteilen folgend – von samo.fa dezentral in drei Quartieren Begegnungsräume eröffnet. An anderen Standorten, wie z.B. in Hildesheim, Düsseldorf und Reutlingen, haben die samo.fa-Träger gegenüber der Stadt die Initiative für die Errichtung solcher Begegnungsräume/Zentren ergriffen, oftmals orientiert an Modellen wie dem Haus der Vielfalt in Dortmund oder dem Haus der Kulturen in Braunschweig.

Tendenzen in der kommunalen Politik

 Auch das Bild, die kommunale Flüchtlingspolitik im vierten Jahr nach 2015, betreffend, ist zwiespältig. Auf der einen Seite hat die Herausforderung der Zuwanderung von Geflüchteten Impulse zur Systematisierung und Koordinierung der kommunalen Politik ausgelöst, auf der anderen Seite wird auch erkennbar, dass die Flüchtlingsfrage in städtischen Agenden nicht mehr Priorität hat. Die Migrantenorganisationen und ihr Beitrag – oftmals vermittelt durch samo.fa – haben in den meisten Fällen kommunale Anerkennung gefunden; dies hat aber keineswegs durchgehend zu einer stärkeren Einbeziehung in kommunale Koordinierungen oder in Planungsverfahren für die Flüchtlingsarbeit geführt; aber auch hierfür gibt es positive Beispiele. Insgesamt kann gesagt werden, dass an allen samo.fa – Standorten– auch aufgrund des durch die Förderung ermöglichten Einsatz von hauptamtlichen Koordinator*innen  – Migrantenorganisationen zu einem wichtigen Partner in der Flüchtlingsarbeit geworden sind und sich ihre Sichtbarbeit wesentlich erhöht hat.

In Düsseldorf z.B. wurde die Zuständigkeit neu in einem integrierten „Amt für Migration und Integration“ zusammengefasst, in Heilbronn wurden die Stellen für kommunalen Integrationsmanager, deren Aufgabe z.B. die Aufstellung individueller Integrationspläne ist, – mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg – stark ausgeweitet, in Fulda die Integrationsstellen bei Kreis und Stadt verstärkt, in Friedrichshafen ist eine Reform des bisherigen „Rats der Nationen und Kulturen“ unterwegs. Berlin hat Ende 2018 ein „Gesamtkonzept Integration und Partizipation Geflüchteter“ verabschiedet und außerdem z.B. mit dem Nachbarschaftsprojekt BENN die Förderung guter Nachbarschaftlichkeit vor dem Hintergrund des veränderten gesellschaftlichen Klimas zum Ziel. In Reutlingen wie in München (Gesamtplan Integration für Flüchtlinge – GIF) werden die Integrationskonzepte fortgeschrieben; an beidem sind die samo.fa-Träger – in unterschiedlichem Maße – beteiligt. In Dresden wird der vom Träger gegründete Weltclub kommunal und landesseitig gefördert.

Auf der anderen Seite fehlt die Einbeziehung der Migrantenorganisationen, wie z.B. in Hildesheim und auch in Göttingen. In Stralsund fehlt z.B. eine kommunale Antidiskriminierungsstelle, Braunschweig beklagt lange Warteschlangen bei der Ausländerbehörde, Düsseldorf und Reutlingen berichten, dass die Flüchtlingsfrage kommunal kein TOP-Thema mehr ist, und aus Bochum wird berichtet, dass das spezifische Übergangsmanagement für Geflüchtete eingestellt worden ist.

Insgesamt muss den Integrationskonzepten und Förderprogrammen der Länder mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, weil sie einen erheblichen Einfluss auf die lokale Ebene haben, so z.B. der „Pakt für Integration“ des Landes Baden-Württemberg oder das neue „Gesamtkonzept“ in Berlin.

 Verbundbildung

Als ein Ausfluss der Arbeit von samo.fa, aber auch als eine Reaktion auf die Schwierigkeiten, vor Ort eine migrantische „Stimme“ in der Flüchtlingsarbeit zu entwickeln, kann die fortschreitende Gründung von lokalen Verbünden angesehen werden. Zu den schon 2017 bestehenden Verbünden kamen in 2018 Verbünde oder Gründungsinitiativen in Bochum, Dresden, Düsseldorf, Heilbronn Köln und  Nürnberg hinzu.

 

 

Anhang:

 Aus dem Bericht April 2018

Die Lage der Geflüchteten ist Ende 2017 ganz deutlich durch die bereits lange andauernde Aufenthaltszeit geprägt. Für viele von ihnen ist der Eintritt in einen Alltag und seine Normalisierung noch durch diverse Umstände behindert und erschwert.Hierzu zählen insbesondere ein ungesicherter Aufenthaltsstatus bzw. eine drohende Abschiebung und die Unsicherheiten, was den Familiennachzug betrifft. In dem Maße, wie samo.fa in den Communities als eine Stelle bekannt geworden ist, der man Vertrauen schenken und von der man Unterstützung erwarten kann – was vielfach über „Mund-zu-Mund“-Kommunikation verläuft und von den jeweiligen sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten abhängig ist – , werden die mit diesen Unsicherheiten verbundenen Belastungen immer deutlicher zum Ausdruck gebracht. Der Bedarf an stabiler, zugewandter Beratung und Begleitung steigt, aber auch das Risiko zunehmender Frustration.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bzw. der Wohnungsmarkt bedeuten nahezu durchgehend die aktuell größte Barriere in Hinblick auf die Normalisierung des Alltags, oftmals ohne Aussicht auf rasche Lösungen. Insbesondere in den Großstädten ist die Lage dramatisch und führt oftmals dazu, dass der Aufenthalt in den Übergangseinrichtungen verlängert wird oder ein Umzug in andere Gruppenunterkünfte erfolgt. Der Übergang in Wohnungen ist zur einen Seite hin ein wichtiger Schritt zur eigenständigen Lebensführung, birgt aber mindestens zwei Risiken: Zum einen findet sich bezahlbarer Wohnraum oftmals nur in prekären Wohnlagen, zum anderen droht mit dem Übergang in Wohnungen auch Vereinzelung und soziale Isolierung. Als Folge wächst das Erfordernis an stadteilbezogener Arbeit. Genau damit werden Migrantenorganisationen als Ort von gemeinschaftlicher Zugehörigkeit und heimisch Werden immer wichtiger. Aus allen Städten berichten Projektverantwortliche, dass das Bedürfnis nach sicheren Begegnungsräumen stark ansteigt.

Grundsätzlich geht es dabei nicht nur darum, über sichere Begegnungsräume verfügen zu können, sondern auch verlässliche Zeitstrukturen zu etablieren – also Treffpunkte und Beratungsangebote im wöchentlichen Turnus immer zu denselben Zeiten etc. Verlässliche Raum- und Zeitstrukturen bieten in einem Leben, das von den Herausforderungen eines neuen Alltags und vielen, oftmals sehr existentiellen Unsicherheiten geprägt ist, eine Art „Orientierungsrahmen“. Dieser muss aufrechterhalten werden, was erhebliche logistische Disziplin und Ressourcen erfordert.

Geflüchtete Frauen sind an vielen samo.fa-Orten zu einer wichtigen Zielgruppe geworden, mit denen – z.T. gemeinsam mit dem MUT-Projekt der Migrantinnenorganisation DaMigra – gearbeitet wird. Frauen sind – so die durchgehende Beobachtung – in besonders starker Weise in ihrem Radius auf die Wohnräume beschränkt. Um ihnen Gelegenheit zu geben, sich in der neuen Umgebung sicherer zu fühlen und auch außerhalb des Wohnbereichs aktiv am Leben teilzuhaben, sind sichere Begegnungsorte und eine verständnisvolle aber auch professionelle Begleitung erforderlich, was dies zu einem wichtigen Feld von weiblichen Aktiven aus Migrantenorganisationen macht. Nur eine solche Einbettung macht es möglich, auch über Gewalterfahrungen und weibliches Selbstverständnis zu sprechen. Die besondere Verletzlichkeit der Frauen, aber auch ihre solidarische Stärke sind durchgehend Thema in 2017.

Zugang zum Gesundheitssystem

In diesem Zusammenhang wird der Zugang zum Gesundheitssystem, der insgesamt mit vielen bürokratischen Hindernissen und sozial-psychologischen Barrieren belastet ist, besonders kritisch. Kulturelle Unterschiede im Umgang mit Krankheit und sprachliche Barrieren erschweren besonders für neuzugewanderte Frauen die selbstverständliche Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten. Auch diese Problematik wird standortübergreifend thematisiert: Einige samo.fa-Projekte haben darauf mit dem Konzept Gesundheitsmittler*in geantwortet: Eine Sonderform von Sprachmittler*innen, die aus den migrantischen Communities kommen und deren Einsatz im Alltag auf längere Zeit nicht entbehrlich sein wird. Traumabewältigung, die man auch als einen längerdauernden Prozess mit der Möglichkeit von Rückschlägen verstehen muss, gehört auch zu diesem Feld und befindet sich zugleich an einer sehr wichtigen und schwierigen Schnittstelle zwischen verständiger Alltagssolidarität und professioneller Hilfe.

Die besonderen Herausforderungen von Kindern und Jugendlichen

Von Beginn hatten die samo.fa-Partner vor Ort Kinder und Jugendliche, insbesondere auch Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, im Blick – mit einer Fülle von Aktivitäten, über Freizeit, Sport, bis zu sprachaktivierenden Kursen. Nahezu durchgehend wird nun die Beobachtung gemacht, dass es jenseits des – auch nicht immer gewährleisteten – Zugangs zu KiTas und normalem Schulunterricht bei vielen Kindern und jungen Leuten erhebliche Schwierigkeiten und Scheitern-Risiken gibt. Das Bildungssystem ist offenkundig nicht gut darauf vorbereitet und eingestellt, mit sehr heterogenen Kinder- und Schüler*innen-Gruppen fördernd umzugehen. Die Unterstützung, die vielfach vor Ort aufgebaut und betrieben wird, läuft im Grunde auf „Nachhilfe“ hinaus. Die ist keineswegs trivial weil, auch die Eltern in positiver Weise einbezogen werden müssen, um erfolgreich zu sein. In samo.fa mitarbeitende Migrantenorganisationen sind in diesem Feld an verschiedenen Orten aktiv und erproben auch neue Partnerschaften, z.B. mit Hochschulen, um „Mentor*innen“ zu gewinnen. Für die Älteren unter den jungen Leuten, von denen oft gesagt wird, dass sie „auf der Straße abhängen“, gilt im Übrigen auch, dass sie eigene und wenigstens in Teilen selbstverwaltete Räume benötigen.

Arbeitsmarkt

Diejenigen der 2015 Angekommen, deren Aufenthaltsstatus es zulässt, sind inzwischen dem Regelungsbereich des SGB II zugeordnet. Dennoch stehen sie dem Arbeitsmarkt zunächst zu einem erheblichen Teil noch nicht zur Verfügung, weil sie Deutsch- und Integrationskurse besuchen. Es ist zu erwarten, dass ihnen danach vor allem Beschäftigungen offenstehen, die vielfach prekäre Merkmale haben. Damit setzt sich die Instabilität ihrer Lebenslage fort. Durchgehend wird beobachtet, dass das Ausbleiben eigener Arbeitseinkünfte – nicht nur zu materiellen Schwierigkeiten und Glaubwürdigkeitsproblemen gegenüber den im Herkunftsland zurückgebliebenen Familien –, sondern auch zu einer erheblichen Beschädigung des Selbstwertgefühls führen kann – je länger, je dramatischer. Demgegenüber ist Arbeitsmarktzugang als Arbeitsfeld, das ohnehin nur kooperativ zusammen mit anderen Akteuren zu sehen ist, für die meisten samo.fa-Partner noch Neuland, das aber an Bedeutung in den nächsten Jahren erheblich gewinnen wird. Verknüpft mit dieser Frage ist die Anerkennung der vor der Flucht bereits erworbenen beruflichen Kompetenzen, ein leidiges Thema, dessen mangelhafte und zeit- und kraftraubende Regelung eine tatsächliche Barriere für positive Integration darstellt.

Berufsausbildung als Arbeitsmarktzugang wird öffentlich stark beworben, zumal viele Ausbildungsplätze nur schwer zu besetzen sind oder auch unbesetzt bleiben. Diesem öffentlich erzeugten Bild guter Ausbildungschancen auch für Jugendliche mit Fluchtgeschichte steht allerdings in der Realität eine erhebliche Zurückhaltung von Betrieben gegenüber. Auch hier können allerdings – wie samo.fa-Aktivitäten an verschiedenen Orten zeigen – Öffnungen erzielt werden, wenn sichergestellt wird, dass die jungen Leute auf ihrem Weg der beruflichen Ausbildung gut begleitet werden, insbesondere dann, wenn es Schwierigkeiten und Einbrüche bei den hohen, aber zumeist doch zerbrechlichen Motivationen gibt. Auch hier können als „Paten“ Menschen aus Migrantenorganisationen sehr hilfreich sein, weil sie – jungen Leuten wie Betrieben – überzeugend zeigen können, dass es sich lohnen kann durchzuhalten. Aber auch dies sind Begleitungen, die sich über die nächsten Jahre erstrecken.

 

(WK 18.3.2019)

Samo.fa-Studie: Deutlich mehr Ehrenamtliche und Geflüchtete erreicht als erwartet

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Nach drei Jahren samo.fa gibt es jetzt auch die Ergebnisse der externen Evalution des Consulting-Unternehmens Ramboll im Auftrag der Integrationsbeauftragten zu unserem Projekt. Sie zeigen, wie viel die Koordinator*innen und die Projektleitung in den 32 Projektstädten aufgebaut haben. Die zentralen Studienergebnisse im Überblick:

Es konnten deutlich mehr Ehrenamtliche und Geflüchtete erreicht werden als zu Projektbeginn angenommen: Wir haben insgesamt 65 Prozent mehr Ehrenamtliche hinzugewonnen als geplant. Und auch bei den Geflüchteten haben wir unsere eigenen Erwartungen übertroffen: In den Projekten wurde mit 55 Prozent mehr Geflüchteten gearbeitet als zu Beginn erwartet.

Besonders die hohe Zahl der Ehrenamtlichen ist dabei ein Alleinstellungsmerkmal des BV NeMO-Projekts. Denn: Nach dem Sommer der Willkommens-Bewegung beobachteten viele Akteur*innen einen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements. Bei samo.fa hingegen engagierten sich konstant auch Menschen, die vorher noch nicht ehrenamtlich tätig waren (40 Projekt). Viele der Geflüchteten aus den Projekten (60 Prozent) engagieren sich laut Studie mittlerweile selbst ehrenamtlich.

Zudem zeigt die Untersuchung, dass der Schwerpunkt Netzwerkarbeit und Strukturaufbau im Projekt nach drei Jahren Wirkung zeigt. Auch er unterscheidet den Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen e.V. von den anderen Geförderten, die schon auf bestehende Netzwerke zurückgreifen konnten. Die Studienautoren kommen zu dem Ergebnis, dass “insbesondere Migrantenorganisationen als relevanter Partner in der Koordinierung von Ehrenamtlichen und Ansprache von Geflüchteten gestärkt wurden.”

Desweiteren bescheinigt die Studie den lokalen Koordinator*innen ein hohes Level an Professionalisierung durch Qualifizierungsmaßnahmen im Projekt, das im Laufe der drei Jahre immer weiter gestiegen ist.

Samo.fa wurde nicht nur innerhalb der Zielgruppe immer bekannter, sondern erreichte auch andere relevante Akteure in der Flüchtlingsarbeit, so die Evaluation. “Es ist davon auszugehen, dass die Projekte von dieser gestiegenen Bekanntheit auch über die Förderung hinaus profitieren und so die Verankerung in den Hilfsstrukturen vor Ort weiter vorantreiben können”, schreiben die Ramboll-Autoren.

Menschen mit Fluchtgeschichte: Nicht allein im neuen Alltag

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Menschen mit Fluchtgeschichte: Nicht allein im neuen Alltag

aus der Arbeit von samo.fa „vor Ort“ im Jahr 2018

Überall haben sich die Kooperationsbeziehungen vervielfältigt und ist die Anerkennung der Rolle der Migrantenorganisationen gewachsen. Hier geht es nicht um die beachtlich großen Zahlen der beteiligten Migrantenorganisationen, der Aktiven und der erreichten Geflüchteten, die samo.fa aufweisen kann, sondern um einen kleinen Einblick in das, was vor Ort gemacht wird. Die folgenden Beispiele stammen aus dem Nordosten Deutschlands; aus dem Westen und Süden könnte Ähnliches berichtet werden.

Natürlich werden Aktivitäten fortgesetzt, die sich in den vorangegangenen Jahren schon als nützlich und sinnvoll erwiesen haben. Begleitung zu Ämtern, Arztbesuchen, Sportkursen, Unterstützung bei Wohnungssuche, Nachbarschaftshilfe, wie bei der Brücke der Kulturen in Hildesheim, oder Übersetzungen im Jobcenter wie bei der RAA in Hoyerswerda finden sich an vielen Orten. Freizeitaktivitäten, z.B. Musizieren, Urban Gardening, Ausflüge, Stadtführungen wie im Haus der Kulturen in Lübeck oder der dortige „Männertreff“ gehören ebenfalls zum Repertoire wie Fußball , z. B. beim TGS-H in Kiel und Willkommensabende, nicht nur für Geflüchtete, wie im Haus der Kulturen in Braunschweig.

Die Schwerpunkte im Jahr 2018 spiegeln aber auch den Umstand, dass sich die Geflüchteten nun auf den langen und beschwerlichen Weg in den neuen Alltag aufgemacht haben. Nahezu überall steht nun – nach Deutsch- und Integrationskursen – der Schritt auf den Arbeitsmarkt an. „Immer mehr Flüchtlinge fordern, dass sie ihre Deutschkenntnisse verbessern müssen, damit sie leichter einen Arbeitsplatz finden“, stellen die Mitarbeiter von MEPa, dem samo.fa-Partner in Potsdam, fest. Und reagieren darauf mit verstärkten Aktivitäten. Dasselbe auch in Halle (Saale), wo es in der SprachWerkstatt des dortigen Partners VeMo e.V. um Fragen und Begriffe des Arbeitsmarktes geht. Sprachcafés und Sprachförderung gibt es an vielen  Orten, wobei z.B. das Haus der Kulturen, der samo.fa-Partner in Lübeck von Beginn an Sprachförderung für alle angeboten hat, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

Die Anforderungen des Arbeitsmarktes schieben sich immer mehr nach vorn. Dies ist zu erkennen am Bewerbungstraining: Von der Arbeitssuche bis Vertragsabschluss bei Tutmonde in Stralsund, an Wochenend-Seminaren „Flüchtling ist kein Beruf“ und „Türen öffnen“ bei MISO in Hannover, aber auch an „Internet für Jobsuche“ in Potsdam und dem PC-Kurs in Hoyerswerda.

 Allerdings scheint auch der Verbraucherschutz zu einem wichtigen Thema geworden zu sein, wie z.B. in Halle, aber auch im Sinne der Weiterbildung für Aktive/Ehrenamtliche in Hoyerswerda und anderswo. Insgesamt steigt bei den Aktiven die Nachfrage nach spezifischen Weiterbildungen, denn der neue Alltag der Geflüchteten wirft ganz unterschiedliche und differenzierte Fragen auf, die die Kenntnisse der Ehrenamtlichen überschreiten.

Nun kommt es auf „Verweisungswissen“ an: Nicht jeder muss alles wissen, aber hilfreich ist zu wissen, wohin man sich wenden kann, um Antworten und Unterstützung zu bekommen, denn zahlreiche Organisationen, Beratungsstellen und Fachpartner stehen mit Rat und Tat zur Seite. Solche Angebote gibt es von vielen samo.fa-Partnern, sei es Gewaltprävention für Frauen oder zum Islam in Deutschland, wie in Halle, sei es Zugang zu Ausbildung und Arbeit in Hannover.

Eine besonders bemerkenswerte Entwicklung, die sich im Jahr 2018 zeigt, ist: Menschen, die erst vor kurzem hierher geflüchtet sind, werden selbst aktiv. So sind z.B. 13 der 14 Ehrenamtlichen, die in Hoyerswerda tätig sind, selbst Geflüchtete. Bei Afropa e.V. in Dresden haben Geflüchtete aus Eritrea und Afghanistan selbstorganisierte Arbeitsgruppen angeregt und begleiten sie, in Berlin werden Geflüchtete weitergebildet, damit sie als „Lotsen“ auch bei der ersten Orientierung auf dem Arbeitsmarkt helfen können.

Schließlich sind Migrantenorganisationen – auch vermittelt über samo.fa – nahezu überall zu wichtigen Gesprächspartnern im Rahmen der kommunalen Flüchtlingsarbeit geworden, so z.B. durch Beteiligung an der Fachgruppe Arbeit der Arbeitsagentur in Halle oder dem Arbeitskreis Flucht und Migration der Stadt Hildesheim, in dem es um die Entwicklung eines neuen kommunalen Integrationsplans ging, oder auch in Lübeck in enger Zusammenarbeit mit kommunaler Arbeitsstelle für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit.

Dr. Wilfried Kruse, Projektleitungsteam samo.fa, 11. September 2018

Kontinuität und Stabilität in der lokalen Flüchtlingsarbeit – Migrantenorganisationen als zentrale Begleiter in den neuen schwierigen Alltag

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Zur Entwicklung der lokalen Flüchtlingsarbeit und der Rolle von Migrantenorganisationen im Rahmen von samo.fa – ein Rückblick

Dr. Wilfried Kruse, Dr. Ümit Koşan, Ismail Köylüoglu (samo.fa-Projektleitung), Stand 26.3.2018

In 2017 hat sich nicht nur die Lage der Geflüchteten verändert, sondern auch die Rolle von Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit vor Ort. Die Auswertung des Projektjahres 2017 fasst die Herausforderungen in den 30 samo.fa-Städten zusammen, gibt einen Überblick über die im Projekt aufgebauten Strukturen und Kooperationen und ordnet sie in den migrationspolitischen lokalen und überregionalen Kontext von Stadtgesellschaften ein, die im dritten Jahr – nach dem Flüchtlingssommer 2015 – neue Bedürfnisse haben.

Grundlage der Analyse sind die schriftlichen Dokumentationen – die so genannten Städtedossiers – der lokalen Partner und vor Ort-Besuche. Die Ergebnisse geben ein umfassendes Bild über die Arbeit mit Geflüchteten in Deutschland und die Rolle von Migrantenorganisationen. samo.fa ist nicht gleichmäßig über alle Bundesländer verteilt. Zudem ist davon auszugehen, dass die politische Mitbestimmung von Migrantenorganisationen in samo.fa-Städten ausgeprägter ist, weil auf dieses Ziel hingearbeitet wurde.

1. Die Situation Geflüchteter und die Herausforderungen im dritten Jahr des samo.fa-Projekts¹

Die Lage der Geflüchteten² ist Ende 2017 ganz deutlich durch die bereits lange andauernde Aufenthaltszeit geprägt. Für viele von ihnen ist der Eintritt in einen Alltag und seine Normalisierung noch durch diverse Umstände behindert und erschwert.Hierzu zählen insbesondere ein ungesicherter Aufenthaltsstatus bzw. eine drohende Abschiebung und die Unsicherheiten, was den Familiennachzug betrifft. In dem Maße, wie samo.fa in den Communities als eine Stelle bekannt geworden ist, der man Vertrauen schenken und von der man Unterstützung erwarten kann – was vielfach über „Mund-zu-Mund“-Kommunikation verläuft und von den jeweiligen sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten abhängig ist – , werden die mit diesen Unsicherheiten verbundenen Belastungen immer deutlicher zum Ausdruck gebracht. Der Bedarf an stabiler, zugewandter Beratung und Begleitung steigt, aber auch das Risiko zunehmender Frustration.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bzw. der Wohnungsmarkt bedeuten nahezu durchgehend die aktuell größte Barriere in Hinblick auf die Normalisierung des Alltags, oftmals ohne Aussicht auf rasche Lösungen. Insbesondere in den Großstädten ist die Lage dramatisch und führt oftmals dazu, dass der Aufenthalt in den Übergangseinrichtungen verlängert wird oder ein Umzug in andere Gruppenunterkünfte erfolgt. Der Übergang in Wohnungen ist zur einen Seite hin ein wichtiger Schritt zur eigenständigen Lebensführung, birgt aber mindestens zwei Risiken: Zum einen findet sich bezahlbarer Wohnraum oftmals nur in prekären Wohnlagen, zum anderen droht mit dem Übergang in Wohnungen auch Vereinzelung und soziale Isolierung. Als Folge wächst das Erfordernis an stadteilbezogener Arbeit. Genau damit werden Migrantenorganisationen als Ort von gemeinschaftlicher Zugehörigkeit und heimisch Werden immer wichtiger. Aus allen Städten berichten Projektverantwortliche, dass das Bedürfnis nach sicheren Begegnungsräumen stark ansteigt.

Grundsätzlich geht es dabei nicht nur darum, über sichere Begegnungsräume verfügen zu können, sondern auch verlässliche Zeitstrukturen zu etablieren – also Treffpunkte und Beratungsangebote im wöchentlichen Turnus immer zu denselben Zeiten etc. Verlässliche Raum- und Zeitstrukturen bieten in einem Leben, das von den Herausforderungen eines neuen Alltags und vielen, oftmals sehr existentiellen Unsicherheiten geprägt ist, eine Art „Orientierungsrahmen“. Dieser muss aufrechterhalten werden, was erhebliche logistische Disziplin und Ressourcen erfordert.

Geflüchtete Frauen sind an vielen samo.fa-Orten zu einer wichtigen Zielgruppe geworden, mit denen – z.T. gemeinsam mit dem MUT-Projekt der Migrantinnenorganisation DaMigra – gearbeitet wird. Frauen sind – so die durchgehende Beobachtung – in besonders starker Weise in ihrem Radius auf die Wohnräume beschränkt. Um ihnen Gelegenheit zu geben, sich in der neuen Umgebung sicherer zu fühlen und auch außerhalb des Wohnbereichs aktiv am Leben teilzuhaben, sind sichere Begegnungsorte und eine verständnisvolle aber auch professionelle Begleitung erforderlich, was dies zu einem wichtigen Feld von weiblichen Aktiven aus Migrantenorganisationen macht. Nur eine solche Einbettung macht es möglich, auch über Gewalterfahrungen und weibliches Selbstverständnis zu sprechen. Die besondere Verletzlichkeit der Frauen, aber auch ihre solidarische Stärke sind durchgehend Thema in 2017.

Zugang zum Gesundheitssystem

In diesem Zusammenhang wird der Zugang zum Gesundheitssystem, der insgesamt mit vielen bürokratischen Hindernissen und sozial-psychologischen Barrieren belastet ist, besonders kritisch. Kulturelle Unterschiede im Umgang mit Krankheit und sprachliche Barrieren erschweren besonders für neuzugewanderte Frauen die selbstverständliche Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten. Auch diese Problematik wird standortübergreifend thematisiert: Einige samo.fa-Projekte haben darauf mit dem Konzept Gesundheitsmittler*in geantwortet: Eine Sonderform von Sprachmittler*innen, die aus den migrantischen Communities kommen und deren Einsatz im Alltag auf längere Zeit nicht entbehrlich sein wird. Traumabewältigung, die man auch als einen längerdauernden Prozess mit der Möglichkeit von Rückschlägen verstehen muss, gehört auch zu diesem Feld und befindet sich zugleich an einer sehr wichtigen und schwierigen Schnittstelle zwischen verständiger Alltagssolidarität und professioneller Hilfe.

Die besonderen Herausforderungen von Kindern und Jugendlichen

Von Beginn hatten die samo.fa-Partner vor Ort Kinder und Jugendliche, insbesondere auch Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, im Blick – mit einer Fülle von Aktivitäten, über Freizeit, Sport, bis zu sprachaktivierenden Kursen. Nahezu durchgehend wird nun die Beobachtung gemacht, dass es jenseits des – auch nicht immer gewährleisteten – Zugangs zu KiTas und normalem Schulunterricht bei vielen Kindern und jungen Leuten erhebliche Schwierigkeiten und Scheiter-Risiken gibt. Das Bildungssystem ist offenkundig nicht gut darauf vorbereitet und eingestellt, mit sehr heterogenen Kinder- und Schüler*innen-Gruppen fördernd umzugehen. Die Unterstützung, die vielfach vor Ort aufgebaut und betrieben wird, läuft im Grunde auf „Nachhilfe“ hinaus. Die ist keineswegs trivial weil, auch die Eltern in positiver Weise einbezogen werden müssen, um erfolgreich zu sein. In samo.fa mitarbeitende Migrantenorganisationen sind in diesem Feld an verschiedenen Orten aktiv und erproben auch neue Partnerschaften, z.B. mit Hochschulen, um „Mentor*innen“ zu gewinnen. Für die Älteren unter den jungen Leuten, von denen oft gesagt wird, dass sie „auf der Straße abhängen“, gilt im Übrigen auch, dass sie eigene und wenigstens in Teilen selbstverwaltete Räume benötigen.

Arbeitsmarkt

Diejenigen der 2015 Angekommen, deren Aufenthaltsstatus es zulässt, sind inzwischen dem Regelungsbereich des SGB II zugeordnet. Dennoch stehen sie dem Arbeitsmarkt zunächst zu einem erheblichen Teil noch nicht zur Verfügung, weil sie Deutsch- und Integrationskurse besuchen. Es ist zu erwarten, dass ihnen danach vor allem Beschäftigungen offenstehen, die vielfach prekäre Merkmale haben. Damit setzt sich die Instabilität ihrer Lebenslage fort. Durchgehend wird beobachtet, dass das Ausbleiben eigener Arbeitseinkünfte – nicht nur zu materiellen Schwierigkeiten und Glaubwürdigkeitsproblemen gegenüber den im Herkunftsland zurückgebliebenen Familien –, sondern auch zu einer erheblichen Beschädigung des Selbstwertgefühls führen kann – je länger, je dramatischer. Demgegenüber ist Arbeitsmarktzugang als Arbeitsfeld, das ohnehin nur kooperativ zusammen mit anderen Akteuren zu sehen ist, für die meisten samo.fa-Partner noch Neuland, das aber an Bedeutung in den nächsten Jahren erheblich gewinnen wird. Verknüpft mit dieser Frage ist die Anerkennung der vor der Flucht bereits erworbenen beruflichen Kompetenzen, ein leidiges Thema, dessen mangelhafte und zeit- und kraftraubende Regelung eine tatsächliche Barriere für positive Integration darstellt.

Berufsausbildung als Arbeitsmarktzugang wird öffentlich stark beworben, zumal viele Ausbildungsplätze nur schwer zu besetzen sind oder auch unbesetzt bleiben. Diesem öffentlich erzeugten Bild guter Ausbildungschancen auch für Jugendliche mit Fluchtgeschichte steht allerdings in der Realität eine erhebliche Zurückhaltung von Betrieben gegenüber. Auch hier können allerdings – wie samo.fa-Aktivitäten an verschiedenen Orten zeigen – Öffnungen erzielt werden, wenn sichergestellt wird, dass die jungen Leute auf ihrem Weg der beruflichen Ausbildung gut begleitet werden, insbesondere dann, wenn es Schwierigkeiten und Einbrüche bei den hohen, aber zumeist doch zerbrechlichen Motivationen gibt. Auch hier können als „Paten“ Menschen aus Migrantenorganisationen sehr hilfreich sein, weil sie – jungen Leuten wie Betrieben – überzeugend zeigen können, dass es sich lohnen kann durchzuhalten. Aber auch dies sind Begleitungen, die sich über die nächsten Jahre erstrecken.

Schließlich wird überall – aber besonders aus den ostdeutschen Städten – über Diskriminierungserfahrungen und Rassismus berichtet. In dem insgesamt schwieriger gewordenen gesellschaftlichen „Klima“ sind die Einzelnen oftmals hilflos. Ohnmachtsgefühle aber erschweren Integration. Auch hier sind es Migrantenorganisationen, die Rückhalt geben können.

¹ Zahlen zum Bestand der Geflüchteten vor Ort und zu ihrer Struktur und zur weiteren Zuwanderung finden sich in den Berichten und werden an anderer Stelle zusammengefasst. Hier geht es um eine qualitative Problemskizze.

² Zu einer Bestandsaufnahme haben auch die Ergebnisse der Arbeitsgruppen beim Bundesnetzwerktreffen in Halle im Herbst 2017 beitragen. Darauf wird an anderer Stelle eingegangen.

 

2. Kommunale Flüchtlingspolitik und Migrantenorganisationen

Zu beobachten ist, dass viele Städte nach 2016 ihre Flüchtlingsarbeit neu aufgestellt haben oder Ende 2017 dabei sind, dies zu tun. Durchgängige Ziele sind dabei eine höhere Effizienz des Verwaltungshandelns, auch durch Bündelung und verstärkte Querschnittskoordinierung und eine höhere Transparenz, was Mittel und Wirkungen betrifft. Teilweise ging es wohl auch darum, gegenüber einem Feld von Akteuren, das „naturwüchsig“ expandierte, faktische politische Entscheidungshoheit zu gewinnen und Aktivitäten in die als bewährt angesehene Arbeitsteilung zwischen Kommune und Wohlfahrtsverbänden zurückzuführen. Im Hintergrund ging und geht es auch darum, die städtischen Haushalte sukzessive von den Zusatzkosten, die die Flüchtlingsarbeit hervorruft, wieder zu entlasten.

Wie immer im Einzelnen die Entwicklung der kommunalen Flüchtlingsarbeit in der zurückliegenden Zeit zu bewerten ist: Die Notwendigkeit, die Zuweisung von Geflüchteten zu bewältigen, hat Kommunalverwaltung deutlich verändert und Kommunalpolitik zu neuen Herausforderungen geführt – mit welchen nachhaltigen Folgen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar.

Auch die Landespolitik musste reagieren. Dies taten die verschiedenen Landesregierungen im Detail zwar auf unterschiedliche Weise, jedoch mit der Gemeinsamkeit, dass Förderprogramme aufgelegt wurden, aus denen Kommunen sich für die Flüchtlingsarbeit auch personell verstärken konnten. In der Regel finden also Ende 2017 die Akteure vor Ort – z.B. im Kontext von samo.fa – ihr kommunales Gegenüber zentraler, „sortierter“ und personell gestärkt aufgestellt. Ob dies eher als ein vorübergehendes „Projekt“ funktioniert, oder strukturell nachwirkt, ist aktuell nicht zu erkennen.

Was die Beteiligung von Migrantenorganisationen an der Gestaltung der lokalen Flüchtlingsarbeit betrifft, so ist sie durch die Bank deutlich stärker als 2015. Die Rede ist hier nicht von ihrem tätigen Engagement für die Geflüchteten. Hierin haben manche Migrantenorganisationen eine lange Tradition und andere sind seit 2015 darin aktiv, insbesondere dann auch durch Initiativen wie samo.fa und andere. Gemeint ist hier die Rolle von Migrantenorganisationen bei der Konzipierung, Planung und Koordinierung der lokalen Flüchtlingsarbeit, bei der Gestaltung der kommunalen Flüchtlingspolitik und im öffentlichen lokalen Diskurs über sie.

In allen Städten gibt es – je nach Landesrecht unterschiedliche – Gremien, die städtische Politik aus der Perspektive der Bürger*innen mit Migrationsgeschichte beraten sollen. Sie heißen z.B. Integrationsräte, Migrationsbeiräte oder auch noch Ausländerbeiräte. Diese waren seit 2015 mehr oder weniger intensiv mit der Flüchtlingsfrage befasst. Von ihnen gingen aber – soweit erkennbar – sehr selten gestaltende Impulse aus.

Impulse kamen aber von Migrantenorganisationen, die ganz explizit in der Flüchtlingsarbeit engagiert waren und sind, und insbesondere auch aus dem samo.fa-Kontext, weil Präsenz und Stimme auf der lokalen Ebene dort förderliche Rahmenbedingungen für die Teilhabe der Geflüchteten angesehen und angestrebt wurde.

Im Ergebnis ist Ende 2017 – also nach vergleichsweise kurzer Zeit – festzustellen: In vielen Städten mit samo.fa-Präsenz werden die Koordinator*innen bzw. die migrantischen Trägerorganisationen von samo.fa von der städtischen Seite kontaktiert, in Beratungen einbezogen, zum Teil für Planungsprozesse mit Mandaten versehen und vor allem im Rahmen lokaler Dialoge als Gesprächspartner ernstgenommen.

Oder anders ausgedrückt: Verbünde oder Zusammenschlüsse von Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, werden als Partner in der kommunalen Politik stärker anerkannt. Dies geschieht in unterschiedlichen Formen und nach wie vor wenig institutionalisiert, zuweilen auch nur punktuell; teilweise gibt es sogar Tendenzen zu einer Art „Rückbau“ der Zusammenarbeit (siehe oben). Mit der verstärkten Anerkennung der Migrantenorganisationen als Partner verbunden ist, dass ihre Stimme – als authentische Stimme aus dem Kreis der Menschen mit Migrationsgeschichte heraus – stärker im Interesse der Geflüchteten zur Geltung gebracht werden kann. Dass dies gelingt, ist auch an der wesentlich breiter gewordenen positiven Medienresonanz vor Ort erkennbar.

Drei wichtige „Hebel“, die – von samo.fa ausgehend – hier gewirkt haben, sind hervorzuheben: (1) die möglich gemachte Kontinuität des Engagements in der Flüchtlingsarbeit, (2) das zunehmende stabile Engagement einer größeren Zahl von Migrantenorganisationen und (3) die Initiierung öffentlicher Wahrnehmung und öffentlicher Diskurse durch Aktionstage, und Dialogkonferenzen und professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Es ist also die Kombination aus Impulsen nach innen, in die Szene der Migrantenorganisationen hinaus, und nach außen, in die städtische Öffentlichkeit und zur kommunalen Politik, die das Bild deutlich zugunsten einer stärkeren Wahrnehmung der Lage und der Bedürfnisse und Interessen der Geflüchteten „vor Ort“ verändert haben.

In einer Reihe von Städteberichten wird auf eine neue Schieflage hingewiesen, die in ihren möglichen Folgen zu Besorgnis Anlass gibt: der erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber den Geflüchteten steht gegenüber, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, die schon lange hier leben oder junge Leute aus Familien mit Migrationsgeschichte, die hier geboren und aufgewachsen sind, weiterhin erhebliche Benachteiligungen erfahren. Es sind erneut die Migrantenorganisationen in ihrem breiten Spektrum, die sich auch für diese Menschen anwaltlich stark machen. Im Idealfall fänden beide Anliegen und Perspektiven in gemeinsamen Verbünden von Migrantenorganisationen vor Ort arbeitsteilig & kooperativ Platz.

3. Überlastungskrise des spontanen ehrenamtlichen Engagements

In vielen Städten gibt es die Beobachtung, dass sich das 2015 entstehende breite bürgerschaftliche Engagement gegen Ende 2017 immer stärker in einer Art „Krise“ zeigt. Dies hat verschiedene Gründe:

Zum einen ist spontanes bürgerschaftliches Engagement meist anlassbezogen und punktuell. Dauert sein Grund über eine längere Zeit fort, dann erlahmen oftmals Motiv und vor allem auch Kraft. Außerdem werden die Anforderungen mit der Zeit – wie oben skizziert – auch komplizierter und immer häufiger muss auch mit Enttäuschung und Verbitterung umgegangen werden. Mit spontaner Dankbarkeit, wie am Anfang, kann nicht mehr ohne Weiteres gerechnet werden.

Die Anzahl derjenigen, die weitermachen, geht zurück und damit – ein weiterer Grund – nimmt die Belastung der Verbleibenden zu und geht teilweise in Überlastung über. Das Gefühl, als „Lückenbüßer“ für eigentlich erforderliche staatliche Leistungen zu wirken, nimmt zu.

Zwar gibt es nahezu überall Ehrenamtskoordinator*innen, Arbeitskreise und andere Gruppenformen für diejenigen, die sich engagieren, dennoch fehlt ihnen oftmals ein gemeinschaftlicher, organisatorisch abgesicherter Rahmen, der sie stabilisieren könnte. Dies ist bei jenen Aktiven, die in die Arbeitszusammenhänge von samo.fa und/oder in „ihren“ Migrantenorganisationen eingebunden sind, anders. Auch hier wird beobachtet: Der Kreis der Aktiven wächst nicht mehr, aber ihr Engagement wird kontinuierlicher und geregelter.

4. Entwicklung bei den Migrantenorganisationen

Für diesen Typ von naher und verständiger Flüchtlingsarbeit, um die es hier geht, sind miteinander lokal kooperierende Migrantenorganisationen das Rückgrat. Ihre Zusammenarbeit folgt dabei wichtigen Prinzipien: Nämlich aus eigener Erfahrung als Menschen mit Migrations- und/oder Fluchtgeschichte solidarisch zu handeln, herkunftsübergreifend miteinander tätig zu werden und das gemeinsame Anliegen zu haben, dort, wo man jetzt lebt und wohin die Geflüchteten nun gekommen sind, die Lebensverhältnisse der Menschen mit Migrationsgeschichte zu verbessern.

Das sind wichtige Unterscheidungsmerkmale auch gegenüber manchen anderen migrantisch geprägten Organisationen, die z.B. vor allem religiös ausgerichtet oder vor allem auf ihr Herkunftsland bezogen sind, oder die als eine Art „Lobby“ fast ausschließlich nur die besonderen Interessen einer bestimmten Gruppe vertreten.

Es ist aus den Städtedossiers, aber auch bei Besuchen vor Ort und auf gemeinsamen bundesweiten Treffen spürbar, dass mit diesem Ansatz, wenn er vor Ort gelebt wird, eine Art neuer „spirit“ in die teilweise schon stagnierenden lokalen Szenen der Migrantenorganisationen Einzug hält. Dieser Dynamik einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit öffnen sich vor allem auch kleinere Migrantenorganisationen, die bisher – gemessen an den großen und etablierten – eher „abseits“ gestanden haben, so dass nun die tatsächliche Vielfalt von Herkünften, kulturellen Besonderheiten und Migrationsgeschichten vor Ort besser zum Tragen kommt – ein wichtiger „Schub“ für mehr Teilhabe und einer höheren Identifikation mit dem neuen Zuhause.

In einer Reihe von Städten waren schon 2015 die lokalen Partner Verbünde von Migrantenorganisationen³ – auch aufgrund der Tatsache, dass deren Zusammenschluss, der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen e.V. (BV NeMO), Träger von samo.fa ist. Ein erheblicher Startvorteil für das ambitionierte Vorhaben. Allerdings waren auch diese Verbünde 2015 ganz unterschiedlich aufgestellt. Auch für sie war die Umsetzung des Konzepts einer Kombination von konkreter Flüchtlingsarbeit, Förderung und Unterstützung von Aktiven und der Öffnung von Migrantenorganisationen für die Flüchtlingsarbeit eine Herausforderung. Aber eine wichtige positive Voraussetzung war bei ihnen schon durch eine eingespielte Form der Zusammenarbeit gegeben.

Dabei musste eine wichtige Bedingung stets berücksichtigt werden: nicht alle schon in den Verbünden mitarbeitenden Organisationen waren zu einem Engagement in der Flüchtlingsarbeit bereit und/oder in der Lage. Und – noch wichtiger: Alle Organisationen hatten, vor allem auf der Basis ehrenamtlichen Engagements – ihre jeweilige Palette von Aktivitäten ausgebildet, die sie für Flüchtlingsarbeit vielleicht ein wenig zurückstellen, aber nicht aufgeben wollten und wollen. Für Migrantenorganisationen ist Flüchtlingsarbeit – wenn überhaupt – immer nur eine unter mehreren für sie, ihr Profil und ihr Selbstverständnis wichtige Aktivität. Weil Flüchtlingsarbeit in diesem doppelten Sinn immer nur ein Ausschnitt der Aktivitäten von Migrantenorganisationen ist, entstanden an verschiedenen Orten Netzwerke oder Arbeitsgemeinschaften derjenigen Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind.

In manchen dieser in der Regel im samo.fa-Kontext entstandenen Netzwerke wurden 2017 Initiativen zur Bildung von lokalen Verbünden von Migrantenorganisationen⁴ ergriffen. An anderen Orten gibt es hierzu Diskussionen und Vorklärungen. Mit anderen Worten: Die Idee lokaler Verbünde von Migrantenorganisationen scheint attraktiv zu sein, weil sie verspricht, lokale zu einer deutlicher wahrnehmbaren Stimme zu gelangen. Eine fast logische Konsequenz ist ein engerer bundesweiter Zusammenschluss, dessen „Vorformen“, was das gemeinsame Engagement in der Flüchtlingsarbeit betrifft, die bundesweiten Netzwerktreffen und die Bundesdialogkonferenzen von samo.fa darstellen.

Allmählich gerät aber auch die wichtige Landesebene in den Blick. Aus vielen Städten wird berichtet, dass Geflüchtete selbst auf dem Weg sind, Vereine zu gründen. Diese Selbstorganisation von Geflüchteten findet im samo.fa-Kontext Unterstützung.

Schließlich zeigen die Städtedossiers auch: Viele beteiligte Organisationen sind traditionell auch in der durch Drittmittel geförderten Projektarbeit aktiv, andere haben dies erst – z.B. durch die Übernahme der Koordination von samo.fa – übernommen, bei weiteren besteht die Absicht, einen projektgeförderten Dienstleistungsbereich aufzubauen.

Damit tritt neben das zivilgesellschaftliche, ehrenamtliche Engagement verstärkt auch eine Aktivität professioneller Dienstleistung. Dadurch entstehen zusätzlich zum, bei samo.fa vordergründigen bürgerschaftlichen Engagement, vielfache Schnittstellen, aber auch Grauzonen. Für die Begleitung der Geflüchteten auf ihrem schwierigen Weg zu einem normalisierten Alltag bleiben die Aktiven – also jene, die sich neben ihrem eigenen Alltag ehrenamtlich engagieren – besonders wichtig. Es muss deshalb Vorkehr getroffen werden, dass sie nicht im Ergebnis des verstärkten Einsatzes von „Professionellen“ aus Projekten an den Rand gedrängt werden.

³ Lokale Verbünde als samo.fa-Träger, die 2015 schon Mitglied im BV NeMO waren: moveGlobal Berlin, Haus der Kulturen Braunschweig, vmdo Dortmund, VeMO Halle, MISO Hannover, Brücke der Kulturen Hildesheim, Haus der Kulturen Lübeck, MORGEN e.V. München, Raum der Kulturen Neuss, BIM Reutlingen und Forum der Kulturen Stuttgart.

⁴ Es gilt für Bielefeld, Düsseldorf, Heilbronn, Mönchengladbach.

5. Kontinuität und Stabilität durch samo.fa

Gegen Ende 2017 zeigt sich, dass samo.fa in den meisten Fällen erheblich dazu beigetragen hat, dass miteinander kooperierende Migrantenorganisationen ein Potenzial für Kontinuität und Stabilität in der lokalen Flüchtlingsarbeit geworden sind. Das gilt nicht für alle 30 Städte und es gilt auch nicht in gleicher Weise, dafür waren zum einen die Startbedingungen zu unterschiedlich, zum anderen ist es auch nicht an allen Orten „gleich gut gelaufen“. Über die unterschiedlichen Startbedingungen informiert der erste Zwischenbericht, der 2016 vorgelegt wurde. Es war absehbar, dass die von den Koordinator*innen übernommenen Aufgaben komplex und hinreichend schwierig sein würden. Um sie zu unterstützen, wurden Regionale Netzwerkbegleitungen etabliert, die nahe bei den Koordinator*innen agierten und in 2018 weiter agieren.

Dennoch kam es vor Ort teilweise zu größeren Schwierigkeiten. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und zum Teil direkte Folge des „Kaltstarts“ 2016. Auch komplizierte Machtstrukturen der lokalen Ausgangslagen spielen eine Rolle, ebenso personelle Fehlentscheidungen und/oder personellen Wechsel. Einen vergleichsweise leichteren Start hatten diejenigen Koordinator*innen, deren Trägerorganisationen bereits gut im lokalen Geschehen verankert waren und/oder es gewohnt waren, in Verbundstrukturen zu arbeiten. Dies galt insbesondere für jene, die sich explizit schon zu Verbünden von Migrantenorganisationen zusammengeschlossen hatten, Mitglied des Bundesverbands NeMO sind oder sich auf dem Weg zu solchen engeren Zusammenschlüssen befanden oder befinden. Besondere Herausforderungen waren überall dort gegeben, wo es eine unterentwickelte oder sogar keine „Szene“ von Migrantenorganisationen gab und/oder wo die Trägerorganisation sich erst auf die lokale Handlungsebene einstellen musste, z.B. weil sie als Diaspora-Organisation bislang eher entwicklungspolitisch ausgerichtet war.

In einer kleinen Anzahl von Fällen hatte die Stadt selbst oder eine nicht-migrantische Organisation gewissermaßen „stadthalterisch“ die Trägerrolle übernommen. Dies musste im Laufe der Zeit in Richtung auf migrantische Trägerschaft umgebaut werden. Ende 2017 hat sich die Mehrheit der beteiligten lokalen Partner in einem organisatorischen Sinne stabilisiert. Für einen Ende des Jahres ausgeschiedenen lokalen Partner und aufgrund einer gewissen Umverteilung der Mittel werden nun drei neue lokale Partner in das samo.fa- „Konsortium“ eintreten: aus Göttingen, Krefeld und Stralsund.

Sicherlich war die Tatsache, dass über die Projektförderung Koordinator*innen finanziert und auch in gewissem Umfange Finanzmittel für operative Tätigkeiten vor Ort zur Verfügung gestellt werden konnten, eine wichtige Basis, von der aus Wirksamkeit entwickelt werden konnte – gewissermaßen als „Injektion“ in einen traditionell finanzarmen Sektor. Aber es ist nicht nur das: In vielen Städtedossiers wird ausdrücklich hervorgehoben, dass das Gesamtarrangement von samo.fa – also neben der Finanzierung auch die nahe Begleitung und die bundesweit erarbeitenden gemeinsamen Rahmenorientierungen, der Erfahrungsaustausch, die Medienarbeit und insgesamt das respektvolle und solidarische „interne Klima“ – sehr hilfreich gewesen sei und weiter dringend benötigt wird.

Was für Aktivitäten frei verfügbare Finanzmittel betrifft, so wären solche Ansätze wie das vom BAMF an bundesweit 14 Standorten geförderte House of Resources hilfreich: Das Besondere am House of Resources ist nämlich, dass es keine pauschale Fördersumme wie bei einem Projekt gibt, sondern anlassbezogen und bedarfsgerecht konkrete Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Im Zentrum von samo.fa steht – und das macht das Besondere aus – ein Dreiklang auf der lokalen Ebene: Erstens Maßnahmen, die sich konkret und praktisch auf die Verbesserung der Lage der Geflüchteten und ihre Teilhabe beziehen. Zweitens werden diese mit einer systematischen Unterstützung der Aktiven in Migrantenorganisationen für eine erfolgreiche Tätigkeit in diesen Maßnahmen kombiniert. Und drittens eine weitere und stabile Öffnung von Migrantenorganisationen für die Flüchtlingsarbeit und ihre gleichberechtigte Teilnahme im Rahmen der Koordinierung der kommunalen Flüchtlingsarbeit.

Diese drei „Klänge“ bedingen und verstärken einander. Die Städtedossiers zeigen, dass es in vielen Fällen sowohl in den einzelnen der drei Felder als auch in ihrem Zusammenspiel erhebliche Fortschritte gegeben hat. Zu beobachten ist an vielen Orten – aber nicht überall – eine stetige, wenn auch langsame Erweiterung des Kreises der Migrantenorganisationen, die sich für Flüchtlingsarbeit punktuell oder auch im größeren Umfange öffnen und bei samo.fa mitwirken. Moscheegemeinden wurden dabei bisher kaum erreicht.

Wenn Neue hinzukommen, versteht es sich, dass sie beraten werden müssen und dass ihnen auch Qualifizierung zuteilwerden muss. Beratungs- und Qualifizierungsbedarfe bestehen aber auch bei jenen fort, die von Anfang an dabei sind. Dies hat zum einen mit den veränderten Lebensumständen der Geflüchteten zu tun, auf die richtig eingegangen werden muss. Zum anderen entsteht aber auch aufgrund der oft zu beobachtenden Entwicklung eines „Projektebereichs“ und den damit zusammenhängenden Bedingungen von Projektförderung Bedarf an Wissensvermittlung. Auch das schwieriger gewordene gesellschaftlichen Umfeld stellt neue Anforderungen an Migrantenorganisationen z.B. die einer argumentativen Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus.

Die Aktiven, also jene Menschen, die sich direkt und ehrenamtlich in der Arbeit mit den Geflüchteten engagieren, sind gewissermaßen das „Herzstück“ des samo.fa-Ansatzes – vor allem in Hinblick auf die Begleitung auf dem langen Weg zu einer Normalisierung des Alltags.

Projekte können die Arbeit unterstützen und auch professionelle Dienstleistungen anbieten, aber nicht diese mitmenschliche Brücke ersetzen. Deshalb steht der Umgang mit den Aktiven ganz oben auf der Agenda: samo.fa ist also zu einem erheblichen Teil auch Sich-Kümmern, ist die Pflege guter und vertrauensvoller Beziehungen, ist Respekt und Anerkennung.

samo.fa-Clubs oder Arbeitskreise der Aktiven und ähnliche Gremien und Organisationsformen sind deshalb wichtige Knotenpunkte für stabile Verbindungen und kontinuierliches Engagement – ebenso wie eine gemeinsame Feier am Jahresende, in der auch Dank und Anerkennung zum Ausdruck gebracht werden. Auch diese interne Kultur hat sich gut entwickelt, zeigen die Städtdossiers.

Würde das Engagement von Aktiven aus Migrantenorganisationen in der nächsten Zeit dramatisch zurückgehen, hätte dies negative Auswirkungen für Integration und Teilhabe der Geflüchteten auf ihrem langen Weg in einen normalen neuen Alltag. Denn es würden die „Lotsen“ für diesen Alltag fehlen, die notwendige Stadtteilorientierung könnte sich nicht auf die erforderliche Anzahl von Aktiven stützen und insbesondere das dringende Bedürfnis nach „sicheren Begegnungsräumen“ könnte nach Umfang und Qualität nicht befriedigt werden.

Die samo.fa-Koordination ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den Migrantenorganisationen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, den Aktiven und den anderen lokalen Akteuren in der Flüchtlingsarbeit sowie der Stadtverwaltung und der kommunalen Politik. Fast schon kann man sagen, dass genau dieses Bindeglied gar auf längere Sicht unverzichtbar ist. Nicht nur müssen die Bündnisse erweitert werden, um über die unmittelbaren materiellen Lebensinteressen hinaus Lebensqualität zu ermöglichen, sondern es geht auch darum, das städtische Gemeinwesen und seine lebendige Kraft des fairen und friedlichen Zusammenlebens in Vielfalt als gemeinsames Anliegen zu betreiben.

6. Resümee

Der Weg zur Normalität im Alltag ist lang und beschwerlich. Der Bedarf einer unterstützenden und zuweilen auch beschützenden, nahen Begleitung nimmt in naher Zukunft nicht ab, sondern eher zu. Und: Sie muss verlässlich sein. Eine solche Begleitung hat vor allem drei zentrale Aufgaben: (1) die Geflüchteten darin zu unterstützen, an den Einrichtungen, Leistungen und dem gemeinschaftlichen lokalen Leben gleichberechtigt teilzuhaben (Teilhabe), (2) sie darin zu bestärken, Schwierigkeiten zu bewältigen, nicht den Mut zu verlieren und das eigene neue Leben bewusst „in die Hand“ zu nehmen (Selbstwert) und (3) sie darin zu unterstützen, ihre Anliegen selbstbewusst und zu vertreten und sich einzumischen (Stimme). Dies sind von Beginn an zentrale Aufgaben im samo.fa-Arbeitszusammenhang gewesen – und sie sind noch lange nicht erledigt.

Viele Städte haben ihre Flüchtlingsarbeit neu aufgestellt oder sind dabei, dies zu tun. Das hat verschiedene Motive: Rationalisierung, auch in Erwartung nachlassenden Handlungsdrucks, spielt hierbei eine erhebliche Rolle. Dabei kann es sehr wohl sein, dass zu früh an „Entwarnung“ gedacht wird. Zwar sind die Zugänge an neuen Geflüchteten stark zurückgegangen, aber die sozialen Probleme, die mit dem langen und schwierigen Weg der Neubürger*innen zur Normalität des Alltagslebens verbunden sind, bleiben als Aufgabe der nächsten Jahre. Die Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, werden stärker als bisher von den Städten als wichtige Partner wahrgenommen. Samo.fa hat hierzu in verschiedener Weise erheblich beigetragen, nicht zuletzt durch die Initiierung öffentlicher Diskurse nicht nur über Geflüchtete, sondern mit ihnen. Damit wurden die Geflüchteten mit eigener Stimme vernehmbar. Es haben sich unterschiedliche Weisen der Beteiligung der Migrantenorganisationen aus dem samo.fa-Kontext bei der Gestaltung der lokalen Flüchtlingsarbeit herausgebildet; viele von ihnen sind allerdings noch punktuell, wenig institutionalisiert und damit für die kommende Zeit des langen Wegs in die Normalität noch nicht belastbar genug.

Das im „langen Sommer des Willkommens“ entstandene breite spontane bürgerschaftliche Engagement kommt mit der erforderlichen Dauer und Kontinuität der Begleitung und den schwieriger werdenden Anforderungen an seine Grenzen. Dort, wo die Aktiven im samo.fa-Kontext tätig sind, gibt ihnen ihre Rückbindung an Migrantenorganisationen einen Rahmen für ihr weiteres Engagement.

Lokal kooperierende Migrantenorganisationen sind das Rückgrat dieses Typs von Flüchtlingsarbeit. Sie folgen wichtigen gemeinsamen Prinzipien, zu denen aus der eigenen Erfahrung stammende Solidarität mit Geflüchteten ebenso gehört wie eine herkunftsübergreifende und respektvolle Zusammenarbeit und die Orientierung auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse „hier und jetzt“. Flüchtlingsarbeit ist – wenn überhaupt – in der Regel nur ein Ausschnitt aus den breiteren Aktivitäten von Migrantenorganisationen. Netzwerke, die vor Ort gegründet wurden, und jene Migrantenorganisationen umfassen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, wirken oftmals als Anregung und Vorform lokaler Verbünde von Migrantenorganisationen.

Dieser „neue Typ von Migrantenorganisationen“ hat offenkundig erhebliche Attraktivität: Er findet in den Diskursen stärkere Aufmerksamkeit und führt zu einer Reihe lokaler Initiativen. In denselben Zusammenhang einer neuen Dynamik in den lokalen „Szenen“ der migrantischen Organisationen gehört, dass an verschiedenen Orten – von samo.fa unterstützt – Geflüchtete sich selbst organisieren und Vereine gründen.

Viele der beteiligten Migrantenorganisationen und Verbünde haben bei sich auch drittmittelgeförderte Projekte angesiedelt, in denen professionell Ausgebildete hauptamtlich tätig sind. Für die Begleitung der Geflüchteten auf ihrem schwierigen Weg zu einem normalisierten Alltag bleiben die Aktiven – also jene, die sich neben ihrem eigenen Alltag ehrenamtlich engagieren – besonders wichtig. Es muss deshalb Vorkehr getroffen werden, dass sie nicht im Ergebnis des verstärkten Einsatzes von „Professionellen“ aus Projekten an den Rand gedrängt werden.

Die von Beginn an Grund legende Orientierung auf einen „Dreiklang“ von konkreter Arbeit mit Geflüchteten, Unterstützung der Aktiven aus Migrantenorganisationen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren und der (weiteren) Öffnung von Migrantenorganisationen für Flüchtlingsarbeit war zielführend. Nach dem „Kaltstart“ 2016 und vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen in den 30 Städten „lief keineswegs alles rund“.

Aber: Gegen Ende 2017 zeigt sich, dass samo.fa in den meisten Fällen erheblich dazu beigetragen hat, dass miteinander kooperierende Migrantenorganisationen ein Potenzial für Kontinuität und Stabilität in der lokalen Flüchtlingsarbeit geworden sind. Gerade auch für den langen und schwierigen Weg in die Normalität, den die Geflüchteten gehen, bleiben die Aktiven das „Herzstück“ des samo.fa-Ansatzes, das aber ohne die produktive Bindung an miteinander lokal kooperierende Migrantenorganisationen nicht wirksam genug ist.

7. Ausblick auf 2018

Überlegungen zur Schwerpunktsetzung der Arbeit im 3. Jahr von samo.fa

Vorgestellt auf dem Bundesnetzwerktreffen am 5./6. Februar 2017 in Leipzig

Der „lange Sommer des Willkommens“ liegt weit zurück. Und dies in mehrerer Hinsicht: Die Geflüchteten selbst, die geblieben sind, sind schon zwei Jahre und länger in Deutschland. Sie müssen ihren neuen Alltag bewältigen. Dabei gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede, was diesen Alltag ausmacht und prägt: Die Unterschiede hängen davon ab, wie weit der Entscheidungsprozess über den Status gediehen ist und welcher Aufenthaltsstatus schließlich zuerkannt wird, von der lokalen Wohnsituation, den Verhältnissen auf den lokalen bzw. regionalen Arbeitsmärkten, aber auch von der lokalen Flüchtlingsarbeit und der kommunalen Politik, der wiederum in verschiedener Weise von übergreifender staatlicher Politik Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Der Weg zur Normalisierung der Lebenslage ist lang

Für diejenigen, die eine Anerkennung erhalten⁶, geht es um Integration in der Weise, dass eine selbständige Lebensführung erreicht wird – in der Regel auf der Basis von Erwerbstätigkeit – und dass – wenn dies gewünscht wird – die Kernfamilien unter akzeptablen Wohnverhältnissen zusammenleben können und es für die Kinder und Jugendlichen einen gleichberechtigen Zugang zu Bildung gibt.

Die vorliegenden ersten Studien, z.B. zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, und viele andere empirische Fakten zeigen: Der Weg zur Normalisierung des Lebens ist für Geflüchtete – Ausnahmen bestätigen immer die Regel – kompliziert und langwierig. Expert*innen gehen davon aus, dass hierfür mehrere Jahre (man spricht von 5 bis 7 Jahren) erforderlich sind.

Und tatsächlich stehen der Integration Hindernisse im Weg, die sie erheblich verzögern. Diese beginnen bei der überaus langen Bearbeitungszeit im Anerkennungsverfahren, was zunächst für die Betroffenen andauernde Unsicherheit und eine faktische Einschränkung ihres Aktionsradius bedeuten (oder: bedeutet haben, also eine erste grundlegende Erfahrung bildet). Diejenigen aus dem Jahr 2015, deren Aufenthaltsstatus es zulässt, münden nun den Regelungsbereich des SGB II ein, stehen aber dem Arbeitsmarkt zunächst zu einem erheblichen Teil noch nicht zur Verfügung, weil sie Deutsch- und Integrationskurse besuchen. Es ist zu erwarten, dass ihnen danach vor allem Beschäftigungen offenstehen – die sie auch bereit sein werden anzunehmen –, die aber vielfach prekäre Merkmale haben. Damit setzt sich die Instabilität ihrer Lebenslage fort.

Vor allen in den Ballungsgebieten ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt äußerst angespannt, so dass sich teilweise die Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften verlängert oder dass in (preiswertere) Wohnungen eingemündet wird, die sich oftmals in sozial belasteten Quartieren befinden. Der Hoffnung, dass die Kinder und Jugendlichen hier eine bessere Zukunft haben, stehen vielfältige Engpässe beim Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium entgegen. Schließlich ist der Familiennachzug erschwert. Von Normalisierung des Lebens kann also bislang keine Rede sein.

Verzögerungen und Gefährdungen

In mancher Literatur wird suggeriert, als sei ein Zeitraum von sieben bis zehn Jahren für eine Integration von Eingewanderten „normal“. Manchmal liest sich das wie eine Art menschliches Naturgesetz. Nun mögen solche Zeiträume erforderlich sein, um die eigene Lebenssituation zu optimieren und auch, um mental in der neuen Heimat ganz anzukommen. Was aber die materiellen Voraussetzungen für Normalisierung betrifft – von denen oben die Rede war – , so handelt es sich um Verzögerungen, die aus Mängeln der Ankunftsgesellschaft, aus überforderten Bürokratien und aus gesetzlichen Restriktionen resultieren.

Verzögerungen und Gefährdungen in diesem komplizierten und komplexen Integrationsprozess treten auch dann ein, wenn die erforderlichen Unterstützungssysteme, wie Beratung, barrierefreie Zugänge zu Ämtern, Sprachmittlung, Willkommenskultur…, lokal unzulänglich entwickelt sind oder brüchig werden, weil z.B. die Kommunen keinen akuten Handlungsbedarf mehr sehen. Es gibt vermehrt Hinweise darauf, dass in kommunaler Politik die Flüchtlingsfrage auf der Agenda „nach unten“ rutscht. Gerade bei dem für samo.fa charakteristischen Ansatz bei lokalen Handlungsstrategien wäre dies sehr beunruhigend und muss beobachtet werden.

Als ein „Indikator“ für eine Art „schleichenden Ausstieg“ aus der Flüchtlingsarbeit von Kommunen wäre auch zu werten, wenn die Migrantenorganisationen, die bisher in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, als Partner am Rande verbleiben oder sogar in ihrer Rolle beschränkt werden, anstatt statt stärker als bisher wertgeschätzt zu werden.

Viele der vorliegenden neueren Studien, Gutachten und Memoranden – jedenfalls solche, die für eine wirksame und würdevolle Integration von Geflüchteten stehen – sehen nun angesichts des langen und komplizierten Wegs der Integration das Erfordernis einer nahen und gut zugänglichen kontinuierlichen Begleitung und Unterstützung.

Ein tragendes Argument für den samo.fa-Ansatz der gleichzeitigen Stärkung von Aktiven in der Flüchtlingsarbeit und von Migrantenorganisationen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren war und ist: Gerade bei der Bewältigung des Alltags sind die Migrantenorganisationen und jene Aktiven, die sie als „background“ haben, unverzichtbar. Nun werden die Erfahrungen, die die Menschen mit Migrationsgeschichte selbst oder vermittelt mit Ankommen, Sich-Einrichten und Heimischwerden gemacht haben, besonders wichtig. Sie produktiv weiterzugeben, setzt allerdings einen reflektierten Umgang mit ihnen voraus.

Besonderer Beitrag der Migrantenorganisationen

Migrantenorganisationen, wo kollektiv Migrationserfahrungen „aufbewahrt“ werden, sind wichtig. Gleichzeitig sind sie ein Ort, der den Aktiven Bezug und Stärke gibt und der sich für die Geflüchteten selbst öffnet. In und resultierend aus diesen drei „Funktionen“ sind Migrantenorganisationen im Grunde unverzichtbar. Und dies gilt umso mehr dann, wenn aus dem Kontext der Migrantenorganisationen auch Expertise für die Bewältigung des Alltags in den verschiedenen wichtigen Handlungsfeldern des neuen Alltags zu gewinnen ist. Im zweiten Jahr von samo.fa ging es dabei um die Bereiche Bildung & Ausbildung, Arbeitsmarkt, Wohnen und Gesundheit.

Stets ist bei der Unterstützung von Geflüchteten in ihrem neuen Alltag wichtig zu klären, welchen Beitrag die Aktiven mit Migrationsgeschichte und die Migrantenorganisationen dabei leisten (können). Sie sind keine Lückenbüßer für ausbleibende oder ungenügende Leistungen, die die hierfür vorhandenen zuständigen und verantwortlichen „Systeme“ erbringen müssten. Dort, wo Menschen mit Migrationsgeschichte als Professionelle tätig sind (was aus verschiedenen Gründen sehr wünschenswert ist), müssen sie auch entsprechend anerkannt und vergütet werden.

Was bringen also jene ein, die nicht im strikten Sinne von Ausbildung und fachlichem Profil Professionelle sind? Deren Expertise⁸ dient der Orientierung, der Unterstützung dabei, zu seinem/ihrem Recht zu kommen, der sensiblen Wahrnehmung von Notlagen und Krisen, der Ermutigung, dem Angebot von Vertrauen, Verlässlichkeit, der Stärkung von Durchhaltevermögen und dem Erleben gemeinsamer Lebensfreude. Die Aktiven und die Migrantenorganisationen können also in diesem Sinne nur wirksam werden, wenn sie Teil eines lokalen Unterstützungsnetzwerks sind, also in einem Kontext von Arbeitsteilung und Kooperation. Diese Erkenntnis war ebenfalls für das 2. Jahr von samo.fa leitend. Die lokalen Dialogkonferenzen der 30 samo.fa-Partner haben vielfach in bemerkenswerter Weise diese Kooperationsfortschritte demonstriert.

Stabile Begleitung langfristig erforderlich

Diese Art der Begleitung und Unterstützung, die nahe bei denen angesiedelt ist, die von Geflüchteten zu neuen Mitbürger*innen geworden sind, ohne sie zu bevormunden, wird also noch für einen erheblich langen Zeitraum benötigt, der weit den bisherigen zeitlichen Förderhorizont von samo.fa überschreitet. Außerdem, auch in den Folgejahren nach 2015/2016 hat es weiterhin Zuwanderung geben, und diese wird sich auch fortsetzen. Es ist also angeraten, basale lokale Unterstützungsstrukturen auf Dauer zu stellen, die auch (Stichwort: Arbeitsteilung und Kooperation) im bürgerschaftlichen Engagement verankert sind. Spontane Initiativen der Hilfe und Unterstützung fehlt die erforderliche Stabilität, und zwar sowohl im personellen wie auch im institutionellen Sinne. Migrantenorganisationen sind demgegenüber schon ihrem Sinne nach stärker auf Dauerhaftigkeit angelegt; manche von ihnen bestehen schon viele Jahre oder sogar Jahrzehnte, mit allen „Auf und Abs“, dem bürgerschaftliche Organisationen unterliegen.

Migrantenorganisationen haben also ein erhebliches Stabilitätspotenzial: sie werden also für die weitere Unterstützung von Geflüchteten und neuen Mitbürger*innen mit Fluchtgeschichte nicht nur gebraucht und haben darin nicht nur Erfahrungen gesammelt und Expertise aufgebaut, sie haben auch das Potenzial, mit langem Atem in diesem Feld tätig und wirksam zu sein. Es gibt in der Regel Aktive, die sich kontinuierlich um den Fortbestand sorgen, es gibt Kerngruppen, denen die Organisation ein Teil ihres Lebens ist, es sind in der Regel rechtliche Formen, wie ein Verein, gefunden worden, die eine gewisse Stabilität mit sich bringen, und es gibt Räumlichkeiten für Treffen und Vereinsaktivitäten, wenngleich dies oftmals auch ein „Engpass“ ist. Ihr Engagement im Feld der Flüchtlingsarbeit bleibt dennoch fragil, weil dieses Engagement einen Aktivitätsgrad und eine aktive Öffnung „nach außen“ erforderlich macht, das auf längere Dauer aufrecht zu erhalten eine große Herausforderung darstellt.

Die Förderentscheidung für samo.fa, über die Stellen der lokalen Koordinator*innen ein professionelles „Rückgrat“ zu sichern und die Bereitstellung „lokaler Fonds“ zu ermöglichen, war deshalb weitsichtig; an diesem Modell eines „professionellen Rückgrats“ plus „lokaler Fonds“ bzw. einer Variation dessen müsste sich auch eine weitere Förderung orientieren, wenn Wert darauf gelegt wird, Migrantenorganisationen in der lokalen Unterstützung von Menschen mit Fluchtgeschichte präsent und aktiv zu halten (und damit auch Vorkehr zu treffen, dass die Erfahrungen und die aufgebaute Expertise nicht verloren gehen).

Verbünde neuer und schon länger bestehender Migrantenorganisationen

Zu beobachten ist, dass sich Menschen mit Fluchtgeschichte selbst daran machen, Vereine zu gründen, um sich zu unterstützen und um in der lokalen Öffentlichkeit und gegenüber der lokalen Politik eine eigene „Stimme“ zu erhalten. Diese Neugründungen von Migrantenorganisationen sind für die lokale Flüchtlingsarbeit von Bedeutung, weil sie in authentischer Weise die Lebensbedingungen und Bedürfnisse von Menschen mit Fluchtgeschichte, die erst vor kurzem angekommen sind, spiegeln. Dies macht aber auch zugleich ihre Verletzlichkeit aus: ihnen fehlt die gediegene Erfahrung im Umgang mit den hiesigen Realitäten, die aber bei den schon länger bestehenden Migrantenorganisationen gegeben ist.

Der von samo.fa vor allem im zurückliegenden zweiten Jahr stark gemachte Vorschlag, vor Ort Arbeitsgemeinschaften oder Verbünde jener Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, zu gründen, hat deshalb vor allen Dingen auch unter dem Aspekt von Stabilität Sinn und hierfür auch die neu gegründeten Vereine einzuladen. Solche Verbünde ermöglichen wechselseitige Unterstützung und die Entwicklung von „interner“ Arbeitsteilung und Kooperation, die zum einen entlastend wirken kann, und zum anderen auch ermöglicht, gegenüber den lokalen Partnern in der Flüchtlingsarbeit und gegenüber der lokalen Politik und Verwaltung mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen.

Die Formulierung „Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind“ ist bewusst gewählt. Denn nicht alle Migrantenorganisationen sind dort aktiv, wobei ihre Nichtbeteiligung verschiedene Gründe und Motive hat⁹. Und es gibt auch Migrantenorganisationen, die sich in der einen oder anderen Weise erheblich in der Flüchtlingsarbeit engagiert haben, und nun vielleicht ermüdet sind oder auch (wieder) stärker zu Aktivitäten zurückkehren wollen, die auch zu ihrem Profil und Selbstverständnis gehören. Lokale Verbünde für die Arbeit mit Menschen mit Fluchtgeschichte könnte auch für diese Migrantenorganisationen eine „Ort“ sein, an dem sie sich in moderater Form weiter beteiligen würden.

samo.fa im dritten Jahr

Migrantenorganisationen vor Ort – auch in gerade, wenn sie sich zu Verbünden zusammen schließen- als ein stabiler und stabilisierender Faktor in der Flüchtlingsarbeit zu halten, ist auch angesichts des gesellschaftlichen Klimas, was Asyl betrifft, von großer Bedeutung: zunehmende Restriktionen in der Flüchtlingspolitik spielen mit der Zunahme ausländerfeindlicher, rassistischer, antiziganistischer und antisemitischer öffentlicher Auftritte zusammen zu einem Klima, das mit einer „Willkommenskultur“ immer weniger Ähnlichkeit hat, wenngleich de facto große Mehrheiten eine offenere Haltung haben ( die Strahlkraft des „langen Sommers des Willkommens“ also noch nicht ganz verblasst ist).

Das dritte Jahr von samo.fa sieht drei zentrale Aufgaben vor: Konsolidierung, Nachhaltigkeit und Transfer. Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Überlegungen geht es darum, diese drei Aufgabenfelder dadurch zu verknüpfen, dass die Voraussetzungen, Bedingungen und praktischen Vorkehrungen für eine dauerhafte Stabilität des Engagements von Migrantenorganisationen in der lokalen Flüchtlingsarbeit ins Zentrum gerückt wird.

⁵  Zusammenfassung und Weiterführung einer Diskussion auf dem 1. Treffen des Leitungsteams von samo.fa am 8. Januar 2018 in Dortmund

⁶ Für diejenigen, denen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verweigert wird und die unter Abschiebungsdrohung stehen, muss sichergestellt sein, dass sie die Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland in Würde verbringen und ihn auch für sich im Sinne der Erweiterung ihrer schulischen und beruflichen Kompetenzen etc. nutzen können. Auch hierfür müssen Lösungen gefunden werden, die auf der lokalen Ebene – dort, wo diese Menschen sind – konkretisiert werden müssen.

⁷ Viele Migrantenorganisationen, die im Kontext von samo.fa aktiv sind, bieten auch – meist über diverse Projekte – professionelle Dienstleistungen an. Dies ist ein weiteres Feld, auf dem Migrantenorganisationen aktiv sind. Dadurch entstehen zu dem, was bei samo.fa im Vordergrund steht, nämlich bürgerschaftliches Engagement, vielfache Schnittstellen, aber auch Grauzonen.

⁸ Auch hierfür ist nötig, was oftmals „Professionalisierung“ genannt wird, aber nicht mit fachlich-beruflicher Professionalität verwechselt werden darf. Es geht eher um eine Verbesserung der Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit, um Orientierungs- und Anschlusswissen usw., usw. Zu diesem Zweck gab und gibt es im samo.fa-Kontext und darüber hinaus vielfältige Weiterbildungs- und Trainingsangebote.

⁹ Allerdings ist es in vielen Orten, an denen samo.fa aktiv ist, gelungen, die Anzahl der Migrantenorganisationen, die sich in der einen oder anderen Weise an der Flüchtlingsarbeit beteiligen, deutlich zu erhöhen.

 

 

Menschen mit Fluchtgeschichte „vor Ort“: Migrantenorganisationen haben Stabilitätspotenzial

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Überlegungen zur Schwerpunkt der Arbeiten im 3. Jahr von samo.fa[1]

Vorgestellt auf dem Bundesnetzwerktreffen am 5./6.Februar 2017 in Leipzig

 

Der „lange Sommer des Willkommens“ liegt nun schon weit zurück. Und dies in mehrerer Hinsicht. Die Geflüchteten selbst, die geblieben sind, sind nun schon zwei Jahre und mehr in Deutschland. Sie müssen ihren neuen Alltag bewältigen. Was diesen Alltag ausmacht und prägt: hierbei gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch wichtige Unterschiede. Die Unterschiede hängen davon ab, wie weit der Entscheidungsprozess über den Status gediehen ist und welcher Aufenthaltsstatus schließlich zuerkannt wird, von der lokalen Wohnsituation, den Verhältnissen auf den lokalen bzw. regionalen Arbeitsmärkten, aber auch von der lokalen Flüchtlingsarbeit und der kommunalen Politik, der wiederum in verschiedener Weise von übergreifender staatlicher Politik Rahmenbedingungen gesetzt werden.

Der Weg zur Normalisierung der Lebenslage ist lang

Für diejenigen, die eine Anerkennung erhalten[2], geht es um Integration in der Weise, dass eine selbständige Lebensführung erreicht wird – in der Regel auf der Basis von Erwerbstätigkeit – und dass – wenn dies gewünscht wird – die Kernfamilien unter akzeptablen Wohnverhältnissen zusammenleben können und es für die Kinder und Jugendlichen einen gleichberechtigen Zugang zu Bildung gibt.

Die vorliegenden ersten Studien, z.B. zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, und viele andere empirische Fakten zeigen nun: der Weg zur Normalisierung des Lebens ist für Geflüchtete – Ausnahmen bestätigen immer die Regel – kompliziert und langwierig. Expert*innen gehen davon aus, dass hierfür mehrere Jahre (man spricht von 5 bis 7 Jahren) erforderlich sind.

Und tatsächlich stehen der Integration Hindernisse im Weg, die sie erheblich verzögern. Diese beginnen bei der überaus langen Bearbeitungszeit im Anerkennungsverfahren, was zunächst für die Betroffenen andauernde Unsicherheit und eine faktische Einschränkung ihres Aktionsradius bedeuten (oder: bedeutet haben, also eine erste grundlegende Erfahrung bildet). Diejenigen aus dem Jahr 2015, deren Aufenthaltsstatus es zulässt, münden nun in (?) den Regelungsbereich des SGB II ein, stehen aber dem Arbeitsmarkt zunächst zu einem erheblichen Teil noch nicht zur Verfügung, weil sie Deutsch- und Integrationskurse besuchen. Es ist zu erwarten, dass ihnen danach vor allem Beschäftigungen offenstehen und die sie auch bereit sein werden anzunehmen, die vielfach prekäre Merkmale haben. Damit setzt sich die Instabilität ihrer Lebenslage fort.

Vor allen in den Ballungsgebieten ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt äußerst angespannt, so dass sich teilweise die Aufenthaltsdauer in Gemeinschaftsunterkünften verlängert oder dass in (preiswertere) Wohnungen eingemündet wird, die sich oftmals in sozial belasteten Quartieren befinden. Der Hoffnung, dass die Kinder und Jugendlichen hier eine bessere Zukunft haben, stehen vielfältige Engpässe beim Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium entgegen. Schließlich ist der Familiennachzug erschwert; von Normalisierung des Lebens kann also bislang keine Rede sein.

Verzögerungen und Gefährdungen

In mancher Literatur wird suggeriert, als sei ein Zeitraum von 7 bis 10 Jahren für eine Integration von Eingewanderten „normal“; manchmal liest sich das wie eine Art menschliches Naturgesetz. Nun mögen solche Zeiträume erforderlich sein, um die eigene Lebenssituation zu optimieren und auch, um mental in der neuen Heimat ganz anzukommen. Was aber die materiellen Voraussetzungen für Normalisierung betrifft – von denen oben die Rede war –, so handelt es sich um Verzögerungen, die aus Mängeln der Ankunftsgesellschaft, aus überforderten Bürokratien und aus gesetzlichen Restriktionen resultieren.

Verzögerungen und Gefährdungen in diesem komplizierten und komplexen Integrationsprozess treten auch dann ein, wenn die erforderlichen Unterstützungssysteme, wie Beratung, barrierefreie Zugänge zu Ämtern, Sprachmittlung, Willkommenskultur und viele mehr, lokal unzulänglich entwickelt sind oder brüchig werden, weil z.B. die Kommunen keinen akuten Handlungsbedarf mehr sehen. Es gibt vermehrt Hinweise darauf, dass in kommunaler Politik die Flüchtlingsfrage auf der Agenda „nach unten“ rutscht. Gerade bei dem für samo.fa charakteristischen Ansatz bei lokalen Handlungsstrategien wäre dies sehr beunruhigend und muss beobachtet werden.

Als ein „Indikator“ für eine Art „schleichenden Ausstieg“ aus der Flüchtlingsarbeit von Kommunen wäre auch zu werten, wenn die Migrantenorganisationen, die bisher in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, als Partner am Rande verbleiben oder sogar in ihrer Rolle beschränkt werden, anstatt statt stärker als bisher wertgeschätzt zu werden.

Viele der vorliegenden neueren Studien, Gutachten und Memoranden – jedenfalls solche, die für eine wirksame und würdevolle Integration von Geflüchteten stehen – sehen nun angesichts des langen und komplizierten Wegs der Integration das Erfordernis einer nahen und gut zugänglichen kontinuierlichen Begleitung und Unterstützung.

Ein tragendes Argument für den samo.fa – Ansatz der gleichzeitigen Stärkung von Aktiven in der Flüchtlingsarbeit und von Migrantenorganisationen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren war: gerade bei der Bewältigung des Alltags sind die Migrantenorganisationen und jene Aktiven, die sie als „background“ haben, unverzichtbar. Nun werden die Erfahrungen, die die Menschen mit Migrationsgeschichte selbst oder vermittelt mit Ankommen, Sich-Einrichten und Heimischwerden gemacht haben, besonders wichtig. Sie produktiv weiterzugeben, setzt allerdings einen reflektierten Umgang mit ihnen voraus.

Besonderer Beitrag der Migrantenorganisationen

Hierfür sind die Migrantenorganisationen, wo kollektiv Migrationserfahrungen „aufbewahrt“ sind, wichtig, so wie sie als Ort, der den Aktiven Bezug und Stärke gibt und der sich für die Geflüchteten selbst öffnet, sehr wertvoll und in diesen drei „Funktionen“ im Grunde unverzichtbar sind. Und dies gilt umso mehr dann, wenn aus dem Kontext der Migrantenorganisationen auch Expertise für die Bewältigung des Alltags in den verschiedenen wichtigen Handlungsfeldern des neuen Alltags zu gewinnen ist. Im zweiten Jahr von samo.fa ging es dabei um die Bereiche Bildung / Ausbildung, Arbeitsmarkt, Wohnen und Gesundheit.

Stets ist bei der Unterstützung von Geflüchteten in ihrem neuen Alltag wichtig zu klären, welchen Beitrag die Aktiven mit Migrationsgeschichte und die Migrantenorganisationen dabei leisten (können). Sie sind keine Lückenbüßer für ausbleibende oder ungenügende Leistungen, die die hierfür vorhandenen zuständigen und verantwortlichen „Systeme“ erbringen müssten. Dort, wo Menschen mit Migrationsgeschichte als Professionelle[3] tätig sind (was aus verschiedenen Gründen sehr wünschenswert ist), müssen sie auch entsprechend anerkannt und vergütet werden.

Was bringen jene ein, die nicht im strikten Sinne von Ausbildung und fachlichem Profil Professionelle sind? Deren Expertise[4] dient der Orientierung, der Unterstützung dabei, zu seinem/ihrem Recht zu kommen, der sensiblen Wahrnehmung von Notlagen und Krisen, der Ermutigung, dem Angebot von Vertrauen, Verlässlichkeit, der Stärkung von Durchhaltevermögen und dem Erleben gemeinsamer Lebensfreude. Die Aktiven und die Migrantenorganisationen können in diesem Sinne nur wirksam werden, wenn sie Teil eines lokalen Unterstützungsnetzwerks sind, also in einem Kontext von Arbeitsteilung und Kooperation. Diese Erkenntnis war ebenfalls für das 2. Jahr von samo.fa leitend; die lokalen Dialogkonferenzen haben vielfach in bemerkenswerter Weise Kooperationsfortschritte demonstriert.

Stabile Begleitung langfristig erforderlich

Diese Art der Begleitung und Unterstützung, die nahe bei denen angesiedelt ist, die von Geflüchteten zu neuen Mitbürger*innen geworden sind, ohne sie zu bevormunden, wird also noch für einen erheblich langen Zeitraum benötigt, der weit den bisherigen zeitlichen Förderhorizont von samo.fa überschreitet. Außerdem: auch in den Folgejahren nach 2015/2016 hat es weiterhin Zuwanderung geben, und diese wird sich auch fortsetzen. Es ist also angeraten, basale lokale Unterstützungsstrukturen auf Dauer zu stellen, die auch (Stichwort: Arbeitsteilung und Kooperation) im bürgerschaftlichen Engagement verankert sind. Spontane Initiativen der Hilfe und Unterstützung fehlt die erforderliche Stabilität, und zwar sowohl im personellen wie auch im institutionellen Sinne. Migrantenorganisationen sind demgegenüber schon ihrem Sinne nach stärker auf Dauerhaftigkeit angelegt; manche von ihnen bestehen schon viele Jahre oder sogar Jahrzehnte, mit allen „Auf und Ab‘s“, dem bürgerschaftliche Organisationen unterliegen.

Migrantenorganisationen haben also ein erhebliches Stabilitätspotenzial: sie werden also für die weitere Unterstützung von Geflüchteten und neuen Mitbürger*innen mit Fluchtgeschichte nicht nur gebraucht und haben darin nicht nur Erfahrungen gesammelt und Expertise aufgebaut, sie haben auch das Potenzial, mit langem Atem in diesem Feld tätig und wirksam zu sein. Es gibt in der Regel Aktive, die sich kontinuierlich um den Fortbestand sorgen, es gibt Kerngruppen, denen die Organisation ein Teil ihres Lebens ist, es sind in der Regel rechtliche Formen, wie ein Verein, gefunden worden, die eine gewisse Stabilität mit sich bringen, und es gibt Räumlichkeiten für Treffen und Vereinsaktivitäten, wenngleich dies oftmals auch ein „Engpass“ ist. Ihr Engagement im Feld der Flüchtlingsarbeit bleibt dennoch fragil, weil dieses Engagement einen Aktivitätsgrad und eine aktive Öffnung „nach außen“ erforderlich macht, das auf längere Dauer aufrecht zu erhalten eine große Herausforderung darstellt.

Die Förderentscheidung für samo.fa, über die Stellen der lokalen Koordinator*innen ein professionelles „Rückgrat“ zu sichern und die Bereitstellung „lokaler Fonds“ zu ermöglichen, war deshalb weitsichtig; an diesem Modell eines „professionellen Rückgrats“ plus „lokaler Fonds“ bzw. einer Variation dessen müsste sich auch eine weitere Förderung orientieren, wenn Wert darauf gelegt wird, Migrantenorganisationen in der lokalen Unterstützung von Menschen mit Fluchtgeschichte präsent und aktiv zu halten (und damit auch Vorkehr zu treffen, dass die Erfahrungen und die aufgebaute Expertise nicht verloren gehen).

Verbünde neuer und schon länger bestehender Migrantenorganisationen

Zu beobachten ist, dass sich Menschen mit Fluchtgeschichte selbst daran machen, Vereine zu gründen, um sich zu unterstützen und um in der lokalen Öffentlichkeit und gegenüber der lokalen Politik eine eigene „Stimme“ zu erhalten. Diese Neugründungen von Migrantenorganisationen sind für die lokale Flüchtlingsarbeit von Bedeutung, weil sie in authentischer Weise die Lebensbedingungen und Bedürfnisse von Menschen mit Fluchtgeschichte, die erst vor kurzem angekommen sind, spiegeln. Dies macht aber auch zugleich ihre Verletzlichkeit aus: ihnen fehlt die gediegene Erfahrung im Umgang mit den hiesigen Realitäten, die aber bei den schon länger bestehenden Migrantenorganisationen gegeben ist.

Der von samo.fa vor allem im zurückliegenden zweiten Jahr stark gemachte Vorschlag, vor Ort Arbeitsgemeinschaften oder Verbünde jener Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, zu gründen, ergibt deshalb vor allen Dingen auch unter dem Aspekt von Stabilität Sinn und hierfür auch die neu gegründeten Vereine einzuladen. Solche Verbünde ermöglichen wechselseitige Unterstützung und die Entwicklung von „interner“ Arbeitsteilung und Kooperation, die zum einen entlastend wirken kann, und zum anderen auch ermöglicht, gegenüber den lokalen Partnern in der Flüchtlingsarbeit und gegenüber der lokalen Politik und Verwaltung mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen.

Die Formulierung „Migrantenorganisationen, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind“ ist bewusst gewählt. Denn nicht alle Migrantenorganisationen sind dort aktiv, wobei ihre Nichtbeteiligung verschiedene Gründe und Motive hat[5]. Und es gibt auch Migrantenorganisationen, die sich in der einen oder anderen Weise erheblich in der Flüchtlingsarbeit engagiert haben, und nun vielleicht ermüdet sind oder (wieder) stärker zu Aktivitäten zurückkehren wollen, die zu ihrem Profil und Selbstverständnis gehören. Lokale Verbünde für die Arbeit mit Menschen mit Fluchtgeschichte könnte auch für diese Migrantenorganisationen eine „Ort“ sein, an dem sie sich in moderater Form weiter beteiligen würden.

samo.fa im dritten Jahr

Migrantenorganisationen vor Ort – auch und gerade, wenn sie sich zu Verbünden zusammen schließen – als ein stabiler und stabilisierender Faktor in der Flüchtlingsarbeit zu halten, ist auch angesichts des gesellschaftlichen Klimas, was Asyl betrifft, von großer Bedeutung: zunehmende Restriktionen in der Flüchtlingspolitik spielen mit der Zunahme ausländerfeindlicher, rassistischer, antiziganistischer und antisemitischer öffentlicher Auftritte zusammen zu einem Klima, das mit einer „Willkommenskultur“ immer weniger Ähnlichkeit hat, wenngleich de facto große Mehrheiten eine offenere Haltung haben ( die Strahlkraft des „langen Sommers des Willkommens“ also noch nicht ganz verblasst ist).

Das dritte Jahr von samo.fa sieht drei zentrale Aufgaben vor: Konsolidierung, Nachhaltigkeit und Transfer. Vor dem Hintergrund der hier vorgestellten Überlegungen geht es darum, diese drei Aufgabenfelder dadurch zu verknüpfen, dass die Voraussetzungen, Bedingungen und praktischen Vorkehrungen für eine dauerhafte Stabilität des Engagements von Migrantenorganisationen in der lokalen Flüchtlingsarbeit ins Zentrum gerückt wird.

(W. Kruse 10.1.2018)

 

[1] Zusammenfassung und Weiterführung einer Diskussion auf dem 1. Treffen des Leitungsteams von samo.fa am 8. Januar 2018 in Dortmund.

[2] Für diejenigen, denen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verweigert wird und die unter Abschiebungsdrohung stehen, muss sichergestellt sein, dass sie die Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland in Würde verbringen und ihn auch für sich im Sinne der Erweiterung ihrer schulischen und beruflichen Kompetenzen etc. nutzen können. Auch hierfür müssen Lösungen gefunden werden, die auf der lokalen Ebene – dort, wo diese Menschen sind – konkretisiert werden müssen.

[3] Viele Migrantenorganisationen, die im Kontext von samo.fa aktiv sind, bieten auch – meist über diverse Projekte – professionelle Dienstleistungen an. Dies ist ein weiteres Feld, auf dem Migrantenorganisationen aktiv sind. Dadurch entstehen zu dem, was bei samo.fa im Vordergrund steht, nämlich bürgerschaftliches Engagement, vielfache Schnittstellen, aber auch Grauzonen.

[4] Auch hierfür ist nötig, was oftmals „Professionalisierung“ genannt wird, aber nicht mit fachlich-beruflicher Professionalität verwechselt werden darf. Es geht eher um eine Verbesserung der Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit, um Orientierungs- und Anschlusswissen usw., usw. Zu diesem Zweck gab und gibt es im samo.fa-Kontext und darüber hinaus vielfältige Weiterbildungs- und Trainingsangebote.

[5] Allerdings ist es in vielen Orten, an denen samo.fa aktiv ist, gelungen, die Anzahl der Migrantenorganisationen, die sich in der einen oder anderen Weise an der Flüchtlingsarbeit beteiligen, deutlich zu erhöhen.

 

Zwischenbericht samo.fa (Oktober 2016)

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Der Zwischenbericht gibt einen Einblick in die Arbeit des Vorhabens samo.fa nach nur fünfmonatiger Laufzeit und vor dem Hintergrund schwieriger Startbedingungen. Darauf wird im Bericht selbst noch eingegangen.

In kurzer Zeit gibt es viele Fortschritte bei der Platzierung und Verankerung des Grundanliegens: Der Stärkung von Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit. Das diese Ergebnisse erzielt werden konnten, ist vor allem dem Engagement der samo.fa – Partner vor Ort zu verdanken.

Sie belegen damit bereits eine wichtige Grundannahme von samo.fa, nämlich, welches Potenzial in migrantischen Organisationen steckt.

Ein neuer Typ der Migrantenvereine

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Hier, wo wir leben, für heute und morgen – und im Verbund

Mehr als 50 Jahre neue Einwanderung in Deutschland: Ist die große Zeit der Migrantenvereine nicht vorbei? Die Arbeitsmigranten der 1. Generation brauchten sie als Brücke zur Heimat, in die sie so rasch wie möglich wieder zurückkehren wollten. Diejenigen, die vor Krieg und politischer Unterdrückung geflohen waren, brauchten sie, um die Zeit in der Diaspora zu überstehen.
Migrantenvereine und Einwanderungsgesellschaft

Viele Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten sind aber geblieben, ihre Kinder schon hier geboren und/oder aufgewachsen, die „Enkel-Generation“ hat keine eigenen Migrationserfahrungen mehr.
Auch das politische Exil, von dem gehofft wurde, dass es schnell vorüberginge, ist für viele zu einem dauerhaften Leben in Deutschland geworden. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird (fast) nicht mehr in Zweifel gezogen. Die Migrantenvereine: Orte der Erinnerung an die Herkunftskultur? Einige Jahre schien es so, als ob sie nur noch für die „Alten“ wichtig seien.
Aber auch das galt und gilt nicht für alle Vereine, z.B. gilt dies nicht für religiöse Vereine und insbesondere nicht für die Moscheevereine, die sich vervielfältigt haben, in der Migranten-Community eine erhebliche Verankerung erreichen und zeitweilig auch eine Art „Sprecherrolle“ für die Interessen von Migrantinnen und Migranten allgemein in Deutschland für sich beanspruchten. Auch jene Migrantenorganisationen, die sich vor allem auf ihre jeweiligen Herkunftsländer und die dortige Politik oder allgemein auf Weltanschauungen, auch fundamentalistischer Art, orientieren, haben und finden Mitgliedschaft . Manchmal fallen religiöse Ausrichtung und eine starke politische Bindung an das jeweilige Herkunftsland auch zusammen, wie z.B. die aktuelle kritische Diskussion zu den DITIB – Moscheevereinen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion zeigt.
Migrantenorganisationen: bisher hauptsächlich „mono“

Es gibt nicht nur eine große Zahl – Schätzungen reichen in Deutschland von 10.000 bis 20.000 -, sondern auch eine große Vielfalt bei den Migrantenorganisationen in Deutschland. Die größten und bislang einflussreichsten Migrantenorganisationen sowohl auf der Bundes- und Landesebene, als auch auf der lokalen Ebene haben allerdings bei aller Unterschiedlichkeit zwei Merkmale gemeinsam: sie sind mono und sie vertreten jeweils eine auch zahlenmäßig große Gruppe von Menschen mit Migrationsge- schichte. Mono meint: sie beziehen sich entweder auf ein Herkunftsland oder eine Herkunftsvolksgruppe und/oder auf eine bestimmte Religion. Das heißt aber: auch dann, wenn sich diese Organisationen zu den Verhältnissen hier und heute in Deutschland äußern, tun sie dies in der Regel auch durch die Brille ihrer mono-Orientierung. Als „Vertreter“ jeweils großer Gruppen von MigrantInnen lassen sie defacto den kleineren Gruppen wenig Raum.
Teilhabe-Defizite überall

Auch vor Ort – in den Kommunen – gibt es nach wie vor (politische) Teilhabe-Defizite, was den großen und wachsenden Teil der Bürgerschaft mit Migrationsgeschichte betrifft . So sind z.B. Menschen mit Migrationsgeschichte in den Kommunalparlamenten immer noch unterrepräsentiert, das Kom- munalwahlrecht für ausländische MitbürgerInnen immer noch nicht durchgesetzt. Vielerorts spielen die Integrationsräte – wenn überhaupt – nur in Fragen, die traditionell als „migrantisch“ definiert werden, eine (beratende) Rolle; in der Regel sind die Integrationsräte auch von den traditionellen, auf eine Herkunft oder auf eine Religion bezogenen Organisationen dominiert.
Ein neuer Typ der Migrantenorganisation

Seit einiger Zeit entsteht nun an verschiedenen Orten in Deutschland mit lokalen Verbünden ein neuer Typ von Migrantenorganisationen. Diese lokalen Verbünde sind ein Zusammenschluss unterschiedlicher Migrantenorganisationen, unterschiedlich, was die ursprünglichen Herkunftsländer und – Regionen betrifft, die Intensität ihrer Beziehungen nach dort, unterschiedlich auch in ihren weltanschaulichen Orientierungen und ihren Aktivitätsprofilen. Was sie vor allen Dingen vereint, ist ihr klarer und eindeutiger Bezug auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse hier und heute, und mit Blick auf morgen.
Die Verbünde sind säkular, das heißt kirchenunabhängig, herkunftsüber- greifend, demokratisch und partizipativ und sie bieten vor allem auch für kleinere Migrantenorganisationen einen starken Rahmen. Dies ist ein wichtiger Aspekt. Die Migrantenorganisationen, die in den Verbünden mitwirken, teilen wichtige Prinzipien (wie z.B. Respekt, Antirassismus, säkulare Orientierung, Unabhängigkeit von Fremdsteuerung), Selbstorganisation und Autonomie bleiben entscheidende Organisationsprinzipien und sie verfügen über eine ausreichend große Schnittmenge für ein gemeinsames sozio-kulturelles Engagement.
Vor allem aber wollen sie, indem sie sich verbünden, durch eine gemeinsame Artikulation von Interessen in ihren jetzigen Heimatstädten die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte wirksam verbessern. Der lokale und kommunale Bezug ist für diese Verbünde charakteristisch. Gleichberechtigte Teilhabe an allen Bereichen des lokalen und kommunalen Lebens ist Handlungsgrundlage und Ziel zugleich.
Die Stunde der Verbünde?

Der Verbund sozial-kultureller Migrantenvereine Dortmund e.V., VMDO, war einer der Ersten dieses „neuen Typs“ von Migrantenorganisationen in Deutschland (www. vmdo.de). Seine Wertschätzung wächst, sowohl bei der Stadt Dortmund, die den VMDO in einem gewissen Umfange fördern, wie bei vielen lokalen Partnern. Trotzdem bleibt die Rolle, die der Verbund lokal einnehmen könnte, noch weit hinter den schon vorhandenen und ausbaufähigen Potenzialen zurück. Das ist durchaus auch eine kommunalpolitische Frage. Für Migranten- organisationen jedenfalls, die im regionalen Feld aktiv sind, ist der vmdo zunehmend attraktiv: seine Mitgliedszahlen steigen.
Dieselben Erfahrungen machen auch die anderen Verbünde – es sind mittlerweile 11, mit steigender Tendenz -, die im Bundesverband
NeMO zusammen geschlossen sind (www.bv-nemo.de). Sie erleben in den Migranten-Communities eine erneut erwachende Bereitschaft mitzumachen und sich einzubinden und bei den Kommunen ein wachsendes Interesse an Zusammenarbeit.
Teilhabe für Geflüchtete:

Die neue große Herausforderung: 
Diese Neugier gegenüber Verbünden hat sicherlich auch mit dem „frischen Wind“ zu tun, den diese explizit auf lokale Teilhabe orientierten Verbünde in die schon routinierten und in die Jahre gekommenen Verhältnisse zu den bislang dominierenden mono – Organisationen bringen. Aber nicht nur: Dass Verbünde jetzt eine Chance haben, Fuß zu fassen und ihre lokale Rolle zu finden, hat auch mit der großen Zahl Geflüchteter zu tun, die vor Ort ankommen, die aufgenommen und denen eine Teilhabe-Perspektive gegeben werden muss.
Netzwerke oder Verbünde von Migrantenorganisationen können in besonders wirksamer Weise einen Beitrag zur lokalen Flüchtlingsarbeit leisten, weil sie ein breites Spektrum verschiedener einzelner Migrantenvereine – mit vielen Anschlüssen an die Herkünfte der Geflüchteten – umfassen, Fähigkeiten und Ressourcen, die auch aus der eigenen Geschichte von Migration und Flucht stammen, in einer sinnvollen Weise bündeln können und in dem von ihnen praktizierten fairen Miteinander bei großer Vielfalt zugleich auch ein „Modell“ friedlichen und produktiven gesellschaftlichen Zusammenlebens abgeben. Ein vom Bundesverband NeMO organisiertes und von der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördertes Vorhaben (www.bv-nemo. de/samofa) erprobt dies gegenwärtig bundesweit in 28 Städten.

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