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Corona-Pandemie: Wir tun schon seit Monaten, was wir können. Aber es reicht nicht aus!

By 29. November 2021

Der vierte und vorläufig letzte Fachtag der Gesundheitskampagne „Nachhaltige Gesundheitsversorgung von Geflüchteten: aus der Mitte von Migrant*innenorganisationen.“  brachte es damit am vergangenen Freitag auf den Punkt: die samofa-Koordinationsstellen in ganz Deutschland haben seit März 2020 durch zahlreiche Aktionen, Veranstaltungen und Angebote nach Kräften daran gearbeitet, die Menschen mit Fluchtgeschichte in der Pandemie zu unterstützen.

Dafür nutzen die Koordinatorinnen und Koordinatoren Methoden und Ansätze, die sie in der präventiven Arbeit der letzten Jahre entwickelt und  in der Krise getestet und optimiert haben.

Gesundheit- ein wichtiges Gut und unerlässlich für gesellschaftliche Teilhabe

Es gibt zwar keine Studien aus Deutschland, die Aussagen darüber treffen, dass Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte stärker von COVID-19 betroffen sind als Menschen ohne Migrationsgeschichte. Deutsche  Statistiken lassen aber durchaus darauf schließen, dass dem so ist, v.a. weil Migrant*innen und Geflüchtete häufig in dichtbewohnten und engen Wohnverhältnissen leben und in Berufen mit vielen sozialen Kontakten arbeiten, wie z.B. Pflege, Erziehung, Reinigung, Einzelhandel und Gastronomie (Lewicki 2021).

Viele der samofa-Standorte wissen aus der jahrelangen lokalen Arbeit, dass Geflüchtete gerade im Kontext Gesundheit auf Unterstützung durch Aktive und ihre Organisationen angewiesen sind, denn häufig sind z. B. präventive Gesundheitsmaßnahmen  nicht ausreichend bekannt. Gerade in Zeiten großer Verunsicherung, von Kontaktbegrenzungen und einem Zerbröseln emotionaler Beziehungen, wie wir das nun seit vielen Monaten erleben, kann man viel tun, um nicht in tiefe seelische Löcher zu fallen.

Dabei ist Gesundheit elementar, wenn Menschen sich integrieren und autonom am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen und sollen.

Methoden und Ansätze des samofa-Netzwerk – gerade in der Pandemie, aber auch sonst wirksam

Gesundheit ist ein wichtiges Gut, und der Themenkreis ist anspruchsvoll, emotional sensibel, bis weilen sogar belastend. Und dann Corona: eine Krankheit, über die man anfangs nicht viel wusste, und die sich in den Ländern unterschiedlich entwickelte. In Windeseile zogen alle möglichen Informationen von Land zu Land, in allen möglichen Sprachen verbreiteten sich Behauptungen in sämtlichen Communities. Es breitete sich eine unglaubliche, nie gekannte Verunsicherung aus, die bis heute besteht.

Gerade in diesen Zeiten haben sich drei elementare Thesen des Netzwerks bewährt, die durch die Mitglieder des Kompetenznetzwerk samofa auf dem Fachtag vertreten wurden:

Man muss Vertrauen gewinnen und Zugänge ermöglichen. MSOen spielen daher bei der Eindämmung der Pandemie eine wesentliche Rolle, denn sie genießen das Vertrauen migrantischer Communities.

Ebenfalls ist es unabdingbar, dass Gesundheitswissen sprachlich angemessen vermittelt wird. Denn viele sehr gute Informationen werden bereitgestellt, aber nur wenige werden so angeboten, dass sie auch verstanden werden.

Die dritte These beschreibt die besondere Rolle und ihre Anforderungen ehrenamtlich Aktiver im Kontext Gesundheit: Sie müssen aus den Communities heraus gewonnen und so qualifiziert werden, dass sie nun in Krisenzeiten für den Erhalt sozialer Kontakte sorgen können.

Corona-Pandemie: wir sind schon weiter!

Mit diesen wesentlichen und in jahrelanger Arbeit aufgebauten Methoden ist das Netzwerk gut aufgestellt, um Geflüchtete durch die Pandemie hindurch zu begleiten. Aber auch darüber hinaus sieht es das Netzwerk als unabdingbar an, seine Expertise und die migrantische Perspektive in lokale, landesweite und bundesweite Strukturen künftig deutlich mehr miteinzubringen, um so die gesundheitliche Versorgung unserer vielfältigen Gesellschaft für alle gleicher zu machen. Dr. Sascha Krannich,  dessen Forschungsschwerpunkte u. a. auf Globale Gesundheit liegen und der die Fachtagreihe aus wissenschaftlicher Sicht begleitet hat, wünscht sich für die Zukunft genau das: „Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg, z.B. Ärzt*innen und Jurist*innen zusammen mit MSOs!“ Genau dieser Forderung kam die abschließende Podiumsdiskussion nach, bei der Forschung, migrantische Expertise und Medizin über künftige Strukturen sprachen.

Was und wer ist nötig für eine gute Gesundheitsversorgung von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte?

Prof. Dr. Ludwig Spätling, ehem. Direktor der Frauenklinik am Klinikum Fulda und Gründer der Deutschen Familienstiftung plädierte für die Notwendigkeit diversitätsorientierter, kultursensibler Strukturen und brachte die vierte These mit. Er fand deutliche Worte: „Die medizinische Versorgung und ihre Qualität hängen maßgeblich davon ab, wie gut die Befindlichkeit, die Erkrankung der Patient*innen verstanden wird, und wie gut Therapien und Behandlungen den Patient*innen wiederum verständlich sind. Wenn das nicht gegeben ist, muss nicht nur mit erheblichen Mehrkosten, sondern vor allem mit Kosten an Gesundheit bis hin zu Menschenleben gerechnet werden!“

Spätling, der sich seit Jahren für interkulturelle Öffnungsprozesse engagiert, betonte, dass Diversitykonzepte nur dann Sinn machten, wenn sie Top Down gewollt seien. Dem stimmte auch Jana Michael zu. Die Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin, in Prag und Stralsund zu Hause, berät und begleitet seit vielen Jahren pädagogische und psychosoziale Einrichtungen, die mit Mädchen und Frauen mit Migrationsgeschichte arbeiten. Sie fordert: „Wir brauchen mehr Bewusstsein für Diversität, auch für rassistisches Verhalten, bei medizinischem Personal und in den Organisationen.“  In den nächsten Tagen bekommt Jana Michael für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz.

Und sonst?

Die vierteilige Fachtagreihe zeigt die qualitative Weiterentwicklung des samofa-Netzwerkes. On top zeigte gerade dieser hybride vierte Fachtag, an dem sowohl rund 30 akkreditierte Gäste im Studio des Lensing-Carree als auch konstant 30 digitale Gäste teilnahmen, dass das Netzwerk und der Bundesverband NeMO auch die digitale Transformation der letzten Monate erfolgreich bewältigt haben!

Das Thema Gesundheit wird das samofa-Netzwerk in der lokalen Arbeit auch weiterhin beschäftigen. Aber auch der Bundesverband, der bereits im Sommer mit seiner Positionierung „Die Inzidenzen nehmen ab, unsere Sorgen aber nicht!“ eine deutliche Haltung einnahm, wird sich in seiner politischen Arbeit gerade jetzt und auch weiterhin für eine gute gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten engagieren. Eines der vier Foren des Öffentlichen Gesprächs am 26. November um 11 Uhr befasst sich mit den Forderungen, die der neue Vorstand des Bundesverbands dazu an die Koalition in Berlin stellt.

Zum Hintergrund:

Allein in 2021 fanden Aufklärungsveranstaltungen u. a.  in Kiel, Nürnberg, Dortmund, Saarbrücken und Münster statt, um nur einige zu nennen. Mit Impfaktionen in Saarbrücken, Aktionstagen der Gesundheit in Düsseldorf und dem Impfbus in Dortmund wurden Hunderte Menschen geimpft. In Göttingen erreichte die Lesestunde: „Kinderbücher erklären Corona“ Dutzende Kinder und Familien.

Aufklärung zu Corona allein reicht aber nicht. Seit März 2020 bieten viele der samofa – Standorte durchgehend Unterstützung in der Krise: um die durch die Kontaktsperren verloren gegangenen, aber so dringend nötigen sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten, finden seither Wandertage mit Frauengruppen statt, wird Familienunterstützung und Kinderbetreuung organisiert, werden Seminare zur Digitalisierung durchgeführt. Die vermeintliche Ruhe vor Corona, die die Medien im Sommer vermittelt hatten, hatten die Kolleginnen und Kollegen des samofa-Netzwerkes nicht wahrgenommen. Statt dessen hatten sie mit dem „Sommer der Bildung und Lebensfreude“ mit speziellen Angeboten daran gearbeitet, Bildungslücken zu schließen, die sich schon da deutlich abzeichneten.

Erreicht wurden damit allein in den letzten 12 Monaten über 2000 Personen.

„Die Corona Situation ist noch längst nicht ausgestanden. Auch weiterhin müssen Informationen vermittelt werden, und dafür sind Zugänge zu den Menschen erforderlich!“

Lillian Kababiito und Lamine Conté, Haus Afrika e.V., Saarbrücken.

 

„Eine der größten und „teuersten“ Herausforderungen im Kliniksalltag ist die Verständigung.“

Prof. Dr. Ludwig Spätling, ehem. Direktor der Frauenklinik am Klinikum Fulda, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Familienstiftung

„Sprachvermittlung im Kontext Gesundheit ist besonders wichtig, ist sehr anspruchsvoll und oft auch sehr belastend, sie erfordert besondere Qualifikation und Anerkennung!“

Maimouna Quattara, samofa-Koordinatorin moveGlobal e.V., Berlin

„Frauen, Kinder, Familien leiden besonders unter der Pandemie. Die Folgen dürften katastrophal sein. Multiplikator*innen und ehrenamtlich Aktive können aberv gerade jetzt dabei unterstützen, dass die Familien körperlich und mental gesund bleiben!“

Septi P. Sakti, samofa-Koordinatorin Bündnis mittendrin e.V., Fulda

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