Alle BeiträgeSaarbrückenThemenschwerpunkt Teilhabe

Mehr Mitbestimmung in der Stadt

By 12. April 2019

„Unser größter Gegner heißt Wahlbeteiligung“, sagt Lamine Conté vom Saarbrückener samo.fa-Partner Haus Afrika. Die Saarbrückener haben wochenlang Wahlkampf für den Integrationsbeirat der Stadt gemacht – mit Flyern, Youtube-Videos und vielen persönlichen Gesprächen. 13 Migrantenorganisationen haben sich für die neue Legislaturperiode auf der „internationalen Liste“ zusammengeschlossen. Wobei es „Legislatur“ – Gesetzgebung – nicht wirklich trifft, bedauert Conté, der sich schon lange im Gremium beteiligt. Mehr als Vorschläge an den Stadtrat kann der Rat nicht machen, den es in jeder Kommune zwecks politischer Beteiligung der nicht-deutschen Bürger*innen gibt und der in manchen Städten noch immer „Ausländerbeirat“ heißt. Gewählt wird alle vier Jahre, „in Saarbrücken auch leider nicht zum Kommunalwahltermin, obwohl wir versucht haben, die Stadt davon zu überzeugen“, sagt Lillian Petry, die sich mit Conté die samo.fa-Koordinationsstelle teilt. „Viele Menschen kriegen deshalb gar nicht mit, dass Wahlen sind – weil sie ja sowieso davon ausgehen, dass sie hier nicht wahlberechtigt sind ohne deutschen Pass.“

Mit ihrer „internationalen Liste“ ist das Saarbrückener Netzwerk am Sonntag mit sechs Sitzen in den Integrationsbeirat eingezogen. Neben ihnen ist ein weiterer migrantischer Kandidat im Rat, fünf Sitze halten die politischen Parteien der Stadt. Alle Migrantenorganisationen aus  dem Haus Afrika beteiligen sich an der „internationalen Liste“, dabei auch viele Menschen mit jüngerer Fluchtgeschichte, die bei Projektbeginn neu nach Saarbrücken gezogen sind. Der Gegner Wahlbeteiligung hat allerdings wirklich zugeschlagen: Von rund 30.000 Wahlberechtigten beteiligten sich nur 600 an der Wahl. „Obwohl wir sogar Wahlinformationen neu kopiert und an den Haustüren verteilt haben, nachdem wir mitbekommen haben, dass viele Menschen den Brief der Stadt gar nicht richtig wahrgenommen haben“, berichtet Petry. Alles ehrenamtlich und ohne irgendeine finanzielle Unterstützung durch die Kommune, „für Integrationsbeiräte ist das alles nicht vorgesehen.“ Dabei seien die Wahlberechtigten über dieses Gremium gar nicht aufgeklärt. „Man müsste sehr viel Öffentlichkeitsarbeit machen, damit mehr Menschen wählen gehen“, sagt Petry. „Jetzt haben wir natürlich ein Repräsentanzproblem.“

Und ein neues Thema für die politische Arbeit. „Das müssen wir unbedingt verändern“, sagt Petry. „Wir brauchen einen anderen Wahltermin und offizielle Unterstützung, um das Gremium und die Wahl bekannter zu machen: Das ist auch eine Voraussetzung für mehr Teilhabe.“

Lillian Petry wünscht sich „Teilhabe für alle“.

„Teilhabe für alle“ ist das zentrale Ziel des Saarbrücker Netzwerks: „Wir wollen unsere Stadt mitgestalten“, sagt Lamine Conté. „Die Themen und Vorschläge von Migrantinnen und Migranten fehlen in Saarbrücken an vielen Stellen.“ Trotz der großen Teilhabe-Defizite sieht er den Rat als Chance: „Wir kommen so mit der Stadtpolitik ins Gespräch über unsere Forderungen und Themen“, sagt Conté. „Ignorieren lassen wir uns nicht, wir haben durch dieses politische Engagement in der Institution trotzdem Möglichkeiten: Wir sprechen als gemeinsame Stimme und können damit ja auch an die Öffentlichkeit gehen.“ Als Zusammenschluss geht das besser, als über Einzelpersonen. „So vertreten wir Menschen kulturübergreifend und vertreten damit Interessen, die alle Migrantinnen und Migranten betreffen.“

Konkret fordert das Netzwerk zum Beispiel die interkulturelle Öffnung der Verwaltung und aller Zweckbetriebe der Stadt, einen finanziellen Fonds für Förderung der Struktur von Migrantenorganisationen  – und auch das kommunale Wahlrecht für Zugewanderte. Das ist die weitreichendste Forderung, für die eine Gesetzesänderung im Bundesland erforderlich ist. „Aber Saarbrücken als Landeshauptstadt soll sich dafür stark machen, das werden wir einfordern“, sagen Petry und Conté. „Ein Integrationsbeirat ist keine wirkliche politische Teilhabe, weil Menschen ohne deutschen Pass nur vorschlagen, aber nicht entscheiden dürfen. Das ist ein Demokratiedefizit, zu dem wir laut etwas sagen.“

„Unser größter Gegner heißt Wahlbeteiligung“ –  Lamine Conté hat wochenlang Wahlkampf für den Integrationsbeirat in Saabrücken gemacht.

Weitere politische Themen der internationalen Liste sind: Ein „Welcome Center“, in dem Migrant*innen neu Angekommenen Erstorientierung anbieten, günstige Raumnutzung für interkulturelle Vereine und eine Verdoppelung der Zuschüsse für diese und die Integrationsprojekte des Integrationsbeirats. Auch sollen alle städtischen Veranstaltungen nur fair gehandelte Produkte verwenden. Das vollständige Wahlprogramm steht hier.

„Wir werden alle Chancen nutzen, die uns das Modell Integrationsbeirat zur Teilhabe bietet“, sagen die beiden Koordinator*innen. „Auch, wenn das Modell selbst große Schwächen hat.“

Partner vor Ort    III