Alle BeiträgeThemenschwerpunkt Teilhabe

Angekommen? Teilhaben jetzt!

By 12. April 2019

In vielen Städten laufen gerade die Wahlen zu den Integrationsbeiräten – die einzige politische Wahlmöglichkeit für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass. Auch einige samo.fa-Partner wollen sich in 2019 beteiligen – um die Themen und Perspektiven von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in die lokale Politik einzubringen. Die Teilhabe-Möglichkeiten des Gremiums sehen sie aber kritisch: Entscheiden dürfen die Vertreter*innen nicht, sie machen nur Vorschläge an die Stadtpolitik.

Für das bundesweite Projekt samo.fa (Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit) ist die Teilhabe von Menschen mit Fluchtgeschichte in 2019 ein zentrales Thema: Um Teil der Stadtgesellschaft zu sein, brauchen diejenigen, die nun schon seit ein paar Jahren in Deutschland leben, Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens: „Es geht in 2019 nicht mehr darum, die Menschen mit Fluchtgeschichte ,rund um die Uhr‘ zu betreuen, sondern sie auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit zu unterstützen und sie in ihren Rechten gegenüber dem Regelsystem zu stärken“, sagt Wilfried Kruse aus der samo.fa-Projektleitung. „Regelsysteme wie zum Beispiel Schule, gesundheitliche Versorgung, Leistungen des Jugendamtes oder der Arbeitsvermittlung sind für alle Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands gedacht, entsprechend müssen Menschen mit Fluchtgeschichte an ihnen teilhaben können.“ Dieser Integrationsgrad ist noch nicht erreicht.

Um diese Rechte auf die Agenda der Rathäuser zu bekommen, haben sich 2019 einige der bundesweit 32 samo.fa-Partner entschieden, für die Integrationsbeiräte zu kandidieren. Diese Räte sind für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass die einzige Möglichkeit, in Deutschland überhaupt an politischen Wahlen teilzunehmen. Allerdings: Die Integrationsbeiräte, die in manchen Städten noch „Ausländerbeiräte“ heißen, machen lediglich Vorschläge, über die dann der von den deutschen Bürger*innen gewählte Stadtrat diskutiert und entscheidet.


Zur Geschichte der Integrationsbeiräte.

„Ein Integrationsbeirat ist deshalb auch keine wirkliche politische Teilhabe, weil Menschen ohne deutschen Pass nur vorschlagen und nicht entscheiden dürfen“, kritisieren auch Lamine Conté und Lillian Petry vom samo.fa Partner Haus Afrika in Saarbrücken. „Das ist ein Demokratiedefizit, zu dem wir in und durch das Gremium laut etwas sagen.“ Im Wahlprogramm der „internationalen Liste“, mit der das lokale Netzwerk aus 13 Migrantenorganisationen angetreten ist, wird deshalb einem Welcome-Zentrum mit Erstberatung für neue Migrant*innen durch Migrant*innen und einem Förderfonds für Migrantenorganisationen, auch das Kommunalwahlrecht für nicht-deutsche Bürger*innen gefordert.

Trotz der großen Teilhabe-Defizite sehen sie den Rat als Chance: „Wir kommen so mit der Stadtpolitik ins Gespräch über unsere Forderungen und Themen“, sagt Conté. „Ignorieren lassen wir uns nicht“, erklären die samo.fa-Koordinator*innen. „Wir haben durch dieses politische Engagement in der Institution Möglichkeiten: Wir sprechen als gemeinsame Stimme und können damit ja auch an die Öffentlichkeit gehen.“  Mehr dazu im Beitrag hier.

Mit sechs Sitzen ist die internationale List seit Sonntag (7. April 2019) nun im Saarbrücker Integrationsbeirat vertreten – dabei sind auch Menschen mit jüngerer Fluchtgeschichte, die über das samo.fa-Projekt zu Haus Afrika gekommen sind.

Auch Beatrix Butto, die im bundesweiten samo.fa-Netzwerk die süddeutschen Städte begleitet, findet es wichtig, die Beiräte trotz der Teilhabe-Defizite für die Themen der samo.fa-Aktiven zu nutzen: „Es ist ja trotzdem eine Möglichkeit, mit der Stadtpolitik ins Gespräch zu kommen“, sagt Butto. „Die Aktiven aus Migrantenorganisationen – zu denen zunehmend auch Menschen gehören, die 2015 und 2016 nach Deutschland geflüchtet sind – kennen vor allem die Bedürfnisse und die soziale Situation von Migrantinnen und Migranten vor Ort“, sagt die Netzwerkbegleiterin. Und zwar besser als die Expert*innen ohne eigene Migrationsgeschichte, die je nach Modell der Kommune ebenfalls in die Räte berufen werden. „Die samo.fa-Aktiven  können dort Themen einbringen, die sie durch ihren Bezug in die verschiedenen Communities kennen – und sachkundige Bürger ohne diesen Bezug eben nicht“, sagt Beatrix Butto. „Zum Beispiel, wo es in der Stadt Alltags- und strukturellen Rassismus gibt und dass viele Geflüchtete keinen Kita-Platz finden oder kultursensible Beratung fehlt.“ Mehr dazu im Interview.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, Themen auf die kommunale Agenda zu setzen. Der samo.fa-Partner aus Hannover, das MiSO-Netzwerk Hannover, richtete sich zum Beispiel kürzlich mit einer Petition direkt an die Stadt und Region Hannover. Die verschiedenen Räte bleiben praktisch aber die einzige institutionelle Form der Teilhabe für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass, deswegen fordern Migrantenorganisationen schon lange ein kommunales Wahlrecht für alle Bürger*innen.


Auch das Motto der lokalen samo.fa Konferenzen steht für mehr Teilhabe – Auf den Veranstaltungen sollen Menschen mit Fluchtgeschichte und Migrantenorganisationen mit Akteur*innen aus Stadt und Gesellschaft in den Dialog treten, um über Teilhabe in allen Lebensbereichen zu sprechen.

Partner vor Ort    III