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Ehrenamt

Migrationssensibles Ehrenamtskonzept 2022 veröffentlicht

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Migrationssensibles  Ehrenamtskonzept
samo.fa 3
2022

Die fortlaufenden Fluchtbewegungen (besonders aktuell unter der Ukraine Krise) und die globalen Folgen der Pandemie stellen uns vor wichtige Herausforderungen. Dies betrifft die Arbeit für/ mit Menschen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte. In Anbetracht der notwendigen Hilfeangebote und Schutzmaßnahmen wollen wir mit samo.fa 3 die Ehrenamtsarbeit und -strukturen weiterfördern, die Stimmen der Ehrenamtliche (EA) wertschätzen und die Beiträge der Aktiven in der Öffentlichkeit hervorheben.

Seit 2016 ist die Ehrenamtsarbeit eine Säule der alltäglichen Aufgaben, Veranstaltungen und Beiträge von den teilnehmenden migrantischen Organisationen im Projekt samo.fa. Im Rahmen der Unterstützungs-, Begleitungs- und Teilhabestrukturen für/ mit geflüchteten Menschen wird das bürgerschaftliche Engagement von EA gefördert. Die Mehrheit der bei samo.fa tätigen EA haben eine Migrationsgeschichte. In diesem Zusammenhang sind die EA Bestandteil eines bundesweiten Frühwarnsystems, das aus den verschiedenen lokalen EA-Pools besteht und zur ständigen Aktualisierung von bedarfsorientierten Bestandsaufnahmen beiträgt. Darüber hinaus spielen EA eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der Kompetenznetzwerke sowie bei den im Jahre 2022 neu eingerichteten Vertiefungsgruppen auf den lokalen, regionalen und bundesweiten Ebenen des Projektes.

Das migrationssensible Ehrenamtskonzept (EAK) samo.fa 3 besteht 2022 aus folgenden Aufgabenbereichen:

1) Wiederbelebung und Neu-Akquise der Netzwerke von Aktiven. Das heißt konkret: Mind. 5 Aktive werden pro Standort (neu) akquiriert bzw. aktiviert.

2) Gewinnung jüngerer Geflüchteter unter 22 Jahren als Aktive. Mind. 5 junge Aktive pro Standort werden (neu) akquiriert bzw. aktiviert

3) Auf der Grundlage der Kompetenzen und Bedarfe der EA werden Qualifizierungen, Weiter- und Fortbildungen sowie Multiplikationsschulungen auf die Beine gestellt. Diese Angebote sind zielgruppen- und lokalorientiert, d.h. sie beziehen sich auf die konkreten Bedarfe und Bedürfnisse der Zielgruppe (Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte). Einen nachhaltigen Prozess der Professionalisierung wird dabei vorangetrieben. Mind. 5 Aktive pro Standort werden weitergebildet, geschult und fachlich beraten.

4) Weiterbildungen und Schulungen für jüngere Aktive werden entwickelt und umgesetzt (Alter 14 -bis 22- Jährige).

5) samo.fa-Ehrenamtsurkunden werden bei Bedarf als Form der Anerkennung und Würdigung erstellt.1 Eine hervorragende Urkunde erhalten diejenige, die seit 2016 im Projekt gewesen sind. Diese Anerkennung soll die beruflichen Zukunftsperspektiven der EA bereichern und erweitern. Ehrenamtsurkunden werden in ehrenden Veranstaltungen unter Beteiligung kommunaler Vertreter*innen und mit Medienaufmerksamkeit überreicht. Pro Standort findet eine Veranstaltung mind. einmal im Quartal zur Überreichung der Ehrenamtsurkunden.

6) Verweisberatung und fachliche Qualifizierung der Aktiven werden reorganisiert, aufgefrischt und aktualisiert. Haupt- und Ehrenamtliche erarbeiten gemeinsam Rahmenbedingungen zur Gestaltung  passgenauer Angebote für Geflüchtete und erstellen dazu ein Handout für die Arbeit vor Ort.

Bestehende Aufgabenbereiche der Förderphase 2020-2021

7) Alle Standorte präsentieren eine Beschreibung von den EA und ihrer Arbeit. Diese Beschreibung berücksichtigt nicht nur punktuelle Aufgaben, sondern insbesondere qualitative Kompetenzen und Stärken, z.B.:

  • Aus-, Weiter- und Fortbildungen
  • Muttersprachen, Mehrsprachigkeit und Übersetzungsskills
  • interkulturelle Fähigkeiten
  • thematische Beratungsfelder und lebensweltnahe Orientierungen für Menschen mit Flucht- bzw. Einwanderungsgeschichte
  • Lebenserfahrungen und Aufenthalte in anderen Ländern

8) Dazu werden kurze Biografien von den EA erstellt, neue Bilder von ihnen gemacht und Statements dokumentiert bzw. über Videos aufgenommen. Wünsche, Interessen und Lebenserwartungen der EA werden dabei berücksichtigt. Die Präsentation der Gesichter der EA ist eine Form der Dankbarkeit zu ihrer Arbeit und ein weiterer Schritt zu ihrer Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Diese Maßnahmen setzten die Zustimmung und die Zusammenarbeit von den EA voraus. Die pro Quartal einzureichenden EA-Tätigkeitsnachweise werden mit diesen Angaben inhaltlich bereichert und bunter gemacht. Somit gewinnen sie an Glaubwürdigkeit.

9) Im Rahmen der ÖA wird eruiert in welcher Form die gesammelten Videos, Texte und Bilder veröffentlicht werden, sei es z.B. auf der samo.fa Homepage, Berichte oder Broschüre. EA werden für weitere ÖA-Aktionen berücksichtigt, z.B. die Produktion von Podcast-Reihen.

10) Die samo.fa-EA werden stärker in die Prozesse der Konzeption, Durchführung und Auswertung von den unterschiedlichen Aktivitäten des Projektes einbezogen. Die EA nehmen an den Vor-Ort Besuchen der Netzwerkbegleitungen in jedem Standort teil. Die Sensibilisierung der Standorte angesichts der Stimmen und Interessen der EA entwickelt sich fortlaufend: EA werden im Entscheidungsfindungsprozess tiefer involviert. In dieser Hinsicht werden weitere Seminare und Maßnahmen für und mit EA organisiert.

11) Die Erstellung einer Ehrenamtskarte gehört auch dem Unterstützungsprozess der samo.fa-Aktiven. Somit soll der Zugang zu öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen erleichtert werden. Dies führt gleichzeitig zu einem selbstbewussten Auftritt der EA aus.

12) Die Durchführung von Anerkennungsveranstaltungen und -feste für EA gehört auch der samo.fa Tradition und werden weiter gefördert.

13) Die Erhöhung des EA-Einsatzes pro Standort und die Stärkung der Aufwandsentschädigung bzw. der Ressourcen für die Ehrenamtsarbeit werden vom BV-NeMO im Rahmen der Interessenvertretung und der Gespräche mit der Bundesregierung angestrebt. Es wird angemerkt, dass die samo.fa hauptamtlichen und ehrenamtlichen Strukturen sich gegenseitig brauchen und stützen.

14) Die EA-Arbeit wird Hand-in-Hand mit einer diskriminierungskritischen Arbeit durchgeführt. Bundesnetzwerksitzungen und -treffen legen dementsprechend den Fokus auf die Verknüpfung EA-Arbeit /Anti-Diskriminierung. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind: a) Welche Rolle spielen die Aktiven in der rassismuskritischen Arbeit? b) Wie kombinieren wir beide Arbeitsbereiche? c) Wie werden EA selbst von rassistischen Vorfällen betroffen? d) Wie hat sich die EA-Arbeit in der Corona-Zeit entwickelt bzw. geändert? Die dazu bezogenen Aktivitäten und Veranstaltungen werden in Zusammenarbeit mit dem Antirassismus-Projekt „Wir sind viele“ von BV durchgeführt.

15) Eine Botschaft wurde klar und deutlich bei der Bundesnetzwerksitzung am 17.-18.09.20 in Dortmund geäußert: Corona verursacht bedeutsame Ängste bei den EA und stellt ihre Arbeit mit Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte vor großen Herausforderungen. Diese Ängste sind gut begründet. Wegen des alltäglichen nahen Kontakts zu anderen Menschen sind EA in gesundheitlicher Risikolage. Wegen ihres Engagements im migrations- und teilhabepolitischen Bereich sind sie in besonderer sozialen Risikolage. Alte und neue Praktiken des Rassismus und der Diskriminierung machen ihre Arbeit schwierig und manchmal gefährlich. Samo.fa benutzt demensprechend energisch alle personalen Kräfte und materiellen Mittel, um diesen Gefahren entgegenzuwirken und die Aktiven in Schutz zu nehmen. In diesem Zusammenhang werden Überlastung und burn-out von den EA zielstrebig vermieden.

16) Die unterschiedlichen Arbeitsweisen von EA mit und ohne Migrationsgeschichte werden fortlaufend beschrieben und analysiert. Diese Unterscheidung betrifft die Art und Weise der Arbeit im Rahmen von migrantischen Organisationen (EA vorwiegend mit Migrationsgeschichte: Fall von samo.fa) und anderen Trägern wie z.B. Wohlfahrtsverbänden (bei denen mehrheitlich EA ohne Migrationsgeschichte aktiv sind). Wichtig ist es zu betonen, dass beide Dimensionen (EA mit und ohne Migrationshintergrund) im Rahmen der Arbeit für Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte ergänzend sind. Diese unterschiedlichen Beschreibungen ermöglichen: a) eine bessere Abgrenzung der Alleinstellungsmerkmale der ehrenamtlichen Arbeit bei migrantischen Organisationen b) Die Verbesserung ihrer Arbeitsverhältnisse auf der Basis von diesen Alleinstellungsmerkmalen c) Die Intensivierung der Zusammenarbeit von EA mit und ohne Migrationsgeschichte

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Bundesnetzwerktreffen im März 2022: Situation der Aktiven, Krieg in der Ukraine und Verstetigung migrantischer Strukturen in der lokal-kommunalen Geflüchtetenarbeit

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Am 31.03.2022 fand das dritte Bundesnetzwerktreffen des Jahres 2022 mit dem Fokus auf drei thematischen Bereiche statt:

  • die Situation der Aktiven,
  • die Ukraine-Krise und
  • die Verstetigung der migrantischen Strukturen in der lokal-kommunalen Geflüchtetenarbeit im Hinblick auf die lokalen Dialogkonferenzen.

50 Teilnehmende inkl. Aktive, Koordinator:innen, externe Referentin und Leitungsteam waren dabei.

Die Veranstaltung wurde von Ümit Kosan, Projektleiter des Projekts samo.fa, eröffnet. Bei seiner Rede beschrieb er die verschiedenen Phasen und Herausforderungen des Projekts samo.fa, zusammen mit der Entwicklung des ehrenamtlichen Engagements seit 2016. Auf folgende Frage machte er in seiner Einführung aufmerksam: Wie stabil und resilient bleiben die EA-Strukturen in den verschiedenen Standorten angesichts der Änderungen bei der Lage vor Ort, den Zielgruppen und/ oder den Aufgaben über die Jahre?

Danach fand ein Vortrag von Lara Benteler, Ehrenamtskoordinatorin beim Exil e.V. (Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge), statt. Mit 35-jähriger Erfahrung hat der Verein seiner Expertise in den Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Menschen mit Migrationsgeschichte aufgebaut. Frau Benteler präsentierte das Projekt „Mach´s doch selbst!“ zur Stärkung von Teilhabe und Vernetzung. Nachfolgend ermöglichte sie einen ergiebigen Austausch mit mehreren samo.fa-Koordinator:innen. Als Herausforderungen zur Ehrenamtskoordination erwähnte Lara Benteler die immer noch existierten Bevormundungspraktiken, die interkulturelle Konflikte sowie die Unverhältnismäßigkeit zwischen höhen Bedarfen und Erwartungen der Zielgruppe und unzureichenden Angeboten.

A) Situation der Aktiven

Anschließende Beiträge von samo.fa Aktiven aus Dortmund, Hannover, Freiburg und Stralsund haben gezeigt wie vielfältig, engagiert und mehrsprachig ihrer Arbeit ist, aber auch wie schwierig ist es, sich mit den vielen Stolpersteinen ihm Alltag zu konfrontieren. Der geschlechterausgeglichene und generationsübergreifende Charakter des Ehrenamts bei samo.fa wurde auch bestätigt und bleibt als Mehrwert des Projektes.

Drei Workshops fanden daraufhin parallel statt: 1) Grundlagen des Ehrenamts 2) EA und Corona 3) Krieg in der Ukraine mit neuen Aufgaben für die EA.

1) Zur Entwicklung des Ehrenamts wurde im ersten Workshop betont, dass die Beibehaltung der Aktiven über die Jahre sich als schwierige Tätigkeit erwiesen hat. Ausbildungen, Nebenjobs und neue Lebensperspektiven erschweren die Kontinuität des Engagements. Zur Neugewinnung und Sicherung der EA-Strukturen ist es also wichtig, zum einen neue mögliche EA direkt anzusprechen, zum anderen passgenaue Qualifizierungen, Fortbildungen und Unterstützung für die schon Engagierte (auch wegen körperlicher und psychischer Belastung) auf die Beine zu stellen.

2) Im zweiten Workshop wurde die Doppelarbeit und Überförderung von Aktiven in der Pandemie hervorgehoben, die spezielle Kompetenzen angesichts der sozialen und gesundheitlichen Einschränkungen entwickeln mussten. 2022 als neue Phase der Pandemie ermöglicht die Entlastung für mehrere EA und stellt neue Herausforderungen zur Neugewinnung von Engagierten. Wunsch der EA an die Koordination war mehr Austausch, Anbindung, Vernetzung sowie Tipps zur Verweisberatung (auch digital).

3) Der dritte Workshop machte deutlich, dass der Schwerpunktsetzung bei der Arbeit mit Geflüchteten aus der Ukraine je nach Standort sehr unterschiedlich ist. Es gibt diesbezüglich verschiedene Zielgruppen im Rahmen der samo.fa-Begleitung: ukrainische und/oder russischsprachigen Geflüchteten, BIPoC, Sinti*zze und Rom*nja. Alle Standorte berichteten von einer sich verändernden und großen Aufgabenstruktur der ehrenamtlichen Arbeit, die ein breites Spektrum von Handlungsfeldern zur Stabilisierung des Alltags von den geflüchteten Menschen adressiert.

Ein gemeinsamer Nenner der Workshops ist zu nennen: Die Folgen der Corona-Krise, die noch zu bewältigen Ebenen der Digitalisierung und die Folgen des Kriegs in der Ukraine stellen die Aktiven vor große Herausforderungen in den kommenden Monaten. Überförderung, Überlastung und Burn-Out sind reale Gefahren für die Zusammenarbeit von Aktiven und Koordinator:innen vor Ort, was entsprechende individuelle und effektive Unterstützungsmaßnahmen sowie ständige Motivation und Anerkennung innerhalb des samo.fa Netzwerks und der lokal-kommunalen Zusammenarbeit verlangt.

B) Der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf die  samo.fa-Geflüchtetenarbeit

Im zweiten Block der Veranstaltung widmeten sich die Koordinator:innen aus Göttingen und München den vielschichtigen Bereichen der lokal-kommunalen Geflüchtetenarbeit in Bezug auf die Situation der Geflüchteten in Folge des Krieges in der Ukraine. Als unverzichtbar erweis sich aktuell der Beitrag von ukrainischen, russischen und afrikanischen migrantischen Organisationen zur Bewältigung der schwierigen Aufgaben des Ankommens von geflüchteten Familien und Alleinreisenden. Die samo.fa-Koordinierungsstellen stellen interkulturelle Hilfe -und Beratungsangeboten sowohl für ukrainische Familien als auch für afrikanische Studierenden zur Verfügung. Hinzu machte Wilfried Kruse als wissenschaftlicher Berater im Projekt darauf Aufmerksam, dass das samo.fa mehrjähriges Repertoire an Wissen und Erfahrungen gerade jetzt benötigt wird und als Vorteil beansprucht werden muss, auch für die Abgrenzung und Abstimmung der kommenden Maßnahmenpläne. In dieser Hinsicht bleibt eine enge Zusammenarbeit mit den lokal-kommunalen Strukturen als besondere Voraussetzung zur effektiven Umsetzung der migrantischen Angeboten.

C) Verstetigung migrantischer Strukturen in der lokal-kommunalen Geflüchtetenarbeit

Im dritten und letzten Block der Veranstaltung wurden die inhaltlichen Grundzügen zur diesjährigen Gestaltung der über die Jahre gut verankerten samo.fa lokalen Dialogkonferenzen vorgetragen. Die lokalen Dialogkonferenzen werden zwischen April und Juni 2022 durchgeführt. Anschließend sammelt und präsentiert eine große Bundesdialogkonferenz im November die zahlreichen Ergebnisse der lokalen Dialogkonferenzen. Die Konferenzen bringen die relevanten Akteur:innen der dauerhaften lokal-kommunale Geflüchtetenarbeit an einem Tisch zusammen zur Besprechung von aktuellen und künftigen Aktivitäten und Strategien.

„Ehrenamtliche Arbeit hat mich immer von persönlichen Sorgen abgelenkt“ – Ahmad Sharaf aus Fulda

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Ahmad Sharaf ist 29 Jahre alt und lebt seit 2015 im Raum Fulda. Den Staatsanwalt aus Aleppo in Syrien hat sein ehrenamtliches Engagement für Geflüchtete in der Stadt Fulda von vielen traurigen Gedanken abgelenkt. Seit mehr als einem Jahr hat seine Frau das Recht, zu ihm nach Deutschland zu ziehen. Ahmad hat als politischer Verfolgter den Flüchtlingsstatus nach Genfer Konvention, gegen den ihm ursprünglich zugeordneten subsidiären Schutz hat er erfolgreich geklagt. „Ich würde in Syrien  sofort verhaftet“, sagt der Jurist. Beim Familiennachzug hilft ihm das trotzdem nicht: Die Bürokratie verhindert ihre Einreise, jeden Tag könnte die Erlaubnis kommen – und kommt doch seit 12 Monaten nicht. Ahmad wollte sich nie den traurigen Gedanken hingeben, lernte Deutsch, auch als er noch gar keinen Status und damit kein Recht auf einen Deutschkurs hatte. Und stürzte sich in die Arbeit mit anderen Geflüchteten. Heute arbeitet er ehrenamtlich und auf einer kleinen Stelle mit Geflüchteten und studiert in einem Masterstudiengang Human Rights, um diese Arbeit zum Hauptberuf zu machen:

„Ich bin Ende 2015 nach meiner Flucht in einem kleinen Dorf bei Fulda angekommen. Ehrlich, ich habe auf dem Schlauchboot im Mittelmeer meine letzte Stunde kommen sehen, es waren viel zu viele Menschen an Bord. Von Anfang an wollte ich in Deutschland ankommen, richtig ankommen. In Syrien würde ich sofort verhaftet werden: Unabhängige Juristen, das ist nicht erwünscht und das kann auch noch lange so bleiben. Meine Frau habe ich seitdem nicht mehr gesehen, also nur per Video. Dass das sich so lange hinzieht, hätte ich nicht gedacht. Aber ich hatte keine Wahl, ich musste von heute auf morgen Aleppo verlassen.

Die Sammelunterkunft war noch drei Kilometer von dem eigentlichen Dorf entfernt – und es hat viele Monate gedauert, bis ich überhaupt eine Anhörung wegen meines Asylantrages hatte. In der Zeit hatte ich ja leider nicht das Recht auf einen Deutschkurs: Ohne die Sprache würde das nichts mit mir in Deutschland, das war mir von Anfang an klar. Und die Sprache lernt man nicht in einer Sammelunterkunft, auch, wenn ich dort am Computer viele Vokabeln gelernt habe. Ich bin über den Berg ins Dorf gewandert und habe mich dort beim Fußballverein angemeldet. Da habe ich  Deutsch gelernt, auch, wenn ich erst verblüfft war, wie die Leute sprechen:

„Gosch“ oder „Klamotten“, das kennt kein Vokabelprogramm.

Aber die echten Leute, die sprechen ja überall anders, deshalb ist Kontakt ja so wichtig. Dass meine Frau nicht zu mir kommen kann – auch nachdem ich meinen Prozess gewonnen habe, das hat mich richtig fertig gemacht. Aber ich wollte das nicht zulassen. Die ehrenamtliche Arbeit hat mich immer von persönlichen Sorgen abgelenkt. In Fulda habe ich mich für das „Bündnis mittendrin!“ engagiert. Ich habe andere Geflüchteten bei sprachlichen Problemen geholfen und sie bei dem Asylverfahren unterstützt. Dass ich eine juristische Ausbildung habe und selber in einem komplizierten Verfahren in Deutschland steckte und stecke, ist da ein Vorteil. Aber vor allem müssen Geflüchtete aus dem seelischen Loch herausgeholt werden, in das viele fallen. Ich kenne das ja auch, es ist schrecklich, von der Familie getrennt zu sein oder von Erinnerungen verfolgt zu werden. Viele lassen sich gehen, treten nicht in Kontakt mit den Menschen in Deutschland, weil sie sich schlecht fühlen. Sie fühlen sich aber besser, wenn sie das tun. Ich habe mittlerweile eine kleine Arbeitsstelle beim interkulturellen Forum Fulda und studiere. Mein Studium aus Syrien wird hier nicht vollständig anerkannt – das Rechtssystem ist ja auch ganz anders. Ich will aber sowieso im sozialen Bereich mit Geflüchteten arbeiten. Es ist wichtig für ein gutes Zusammenleben in Deutschland, dass alle wirklich hier ankommen.“

Partner vor Ort    III